Maria Lipp – Chemikerin aus Stolberg

192_lipp_24_12Die RWTH Aachen gehört unbestritten zu den renommiertesten deutschen Hochschulen und schneidet in zahlreichen Bereichen aus Naturwissenschaft und Technik bei Rankings immer wieder glänzend ab. In der nunmehr fast 150-jährigen Geschichte dieser Elite-Universität ist eine Frau wissenschaftshistorisch von besonderer Bedeutung: die Chemikerin Maria Lipp (geborene Savelsberg). Sie war nicht nur eine der ersten weiblichen Studierenden an der Aachener Technischen Hochschule, sondern dort auch die erste Diplom-Ingenieurin, Doktorandin, Habilitandin und ordentliche Professorin. Es ist also in der Tat gerechtfertigt, sie als „Pionierin“ (J. Spies/ M. Bausch) der RWTH zu bezeichnen.

Wer sich näher mit der Biographie dieser 1892 in Stolberg geborenen Wissenschaftlerin befasst, sieht sich bald mit unterschiedlichen Angaben zu ihrem persönlichen Hintergrund konfrontiert. Die Unklarheiten beginnen schon damit, dass ihr Geburtsname öfters unrichtig als „Savelsberg-Bredt“ angegeben wird. Die letztgenannte Namensform erklärt sich daraus, dass Maria Savelsberg von dem Berliner Chemie-Professor Julius Bredt (1855-1937) adoptiert wurde, der seit 1897 in Aachen lehrte. Dass sich bisher offenbar noch niemand genauer mit ihrer Herkunft befasst hat, ist schon deswegen bedauerlich, weil sich bei ihr Zusammenhänge ergeben, die ein interessantes Licht darauf werfen, aus welchem gesellschaftlichen Umfeld diese Wissenschaftspionierin hervorging. Nach einem knappen, aber glaubwürdigen Eintrag im Prominenten-Lexikon „Wer ist wer?“ war Maria Lipp eine Tochter des Diplom-Ingenieurs und Oberbaurats Karl Savelsberg und dessen Ehefrau Friederike de Nys.

Die im Aachen-Stolberger Raum alteingesessene Familie Savelsberg brachte gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrere große Persönlichkeiten im technisch-wissenschaftlichen Bereich hervor. Dazu zählten beispielsweise der Ingenieur Josef Savelsberg oder der Ingenieur und Erfinder Adolf Savelsberg. Adolf Savelsberg wurde der Vater der vor allem in Kiel tätigen Professorin Gertrud Savelsberg (1899-1984), einer Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlerin, die als erste habilitierte Wirtschaftswissenschaftlerin an der RWTH in ihrer Pionierrolle ihrer Kusine Maria Lipp kaum nachsteht. Der genealogisch-soziale Hintergrund sowohl von Maria Lipp als auch von Gertrud Savelsberg liegt jedenfalls in der hochqualifizierten Ingenieurs-Elite der Nordeifel und ist eng verbunden mit Unternehmen der Stolberger Hüttenindustrie. Nicht zu vernachlässigen ist aber gerade auch bei Maria Lipp die mütterliche Seite der wohlhabenden Familie de Nys. Der in Aachen geborene Trierer Oberbürgermeister und Ehrenbürger Karl de Nys (1833-1907) war der prominenteste Verwandte Maria Lipps von dieser Seite.

Dass sich die hochintelligente Ingenieurstochter 1913 nach ihrer Immatrikulation an der heimatlichen Kgl. Technischen Hochschule auf das Fach Chemie konzentrierte, hängt vermutlich mit dem Einfluss ihres Adoptiv-Vaters Bredt zusammen. 1917 wurde Maria Savelsberg nach einer mit Auszeichnung bestandenen Prüfung der Grad eines Diplom-Ingenieurs verliehen, ein Jahr später erhielt die Stolbergerin die Würde eines Doktor-Ingenieurs (Dr.-Ing.). In ihrer Doktorarbeit befasste sie sich mit Methylcampher und Methylcamphersäure – Stoffe, die auch zu den Hauptforschungsgebieten ihres Adoptivvaters Bredt gehörten. Bemerkenswert an ihrer weiteren wissenschaftlichen Karriere ist der Umstand, dass sie zeitlebens – von kürzeren auswärtigen Stationen abgesehen – in Aachen blieb. Von der Habilitation 1923 im Fach Organische Chemie über die 1938 erfolgte Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin und die 1949 erfolgte Ernennung zur Ordentlichen Professorin für Organische Chemie bis zur Emeritierung 1960 bildete die heimatliche Hochschule in Aachen das Zentrum ihrer Arbeit. Dies hing sicherlich auch damit zusammen, dass ihr Ehemann Peter Lipp, den sie 1925 geheiratet hatte, ebenfalls als Professor für Organische Chemie an der RWTH forschte und lehrte.

Die Arbeitsmöglichkeiten des Professorenehepaars, das mit zwei Töchtern gesegnet war, gerieten in eine existenzgefährdende Krise, als das Organisch-Chemische Institut 1943 Opfer der Bombardierung der Karlsstadt wurde. In den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren konnte die Weiterarbeit angesichts der „unglaublichen primitiven Unterbringung des Institutes“ (Prof. H. Stetter) nur unter schwierigsten materiellen Bedingungen erfolgen, bei denen Maria Lipp seit dem 1947 erfolgten Tod ihres Gatten und Kollegen in weitem Umfang auf sich allein gestellt war. Für ihre herausragenden Leistungen beim Neuaufbau des Instituts wurde die Chemikerin 1962 zum 70. Geburtstag mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik geehrt. Leider gibt es auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Tod (1966) dieser Universitätspionierin noch keine umfassende Studie zu ihrem Lebensweg, so dass manches – beispielsweise auch ihre politische Einstellung – wohl noch eine Weile unerforschtes Land bleiben wird.
Verfasser: Gregor Brand

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