Marie-Anne Libert -Botanikerin und Mykologin aus Malmedy

Als der Medizinprofessor C. F. Harleß (1773-1853) „Die Verdienste der Frauen um Naturwissenschaft und Heilkunde“ (Göttingen 1830) würdigte, zählte er Marie-Anne Libert „unstreitig zu den vorzüglichsten und kenntnisreichsten unter den jetzt lebenden Botanistinnen“. Dieses Lob war schon deswegen bemerkenswert, weil die 1782 in Malmedy geborene Pflanzenkundlerin eine Amateurforscherin war, die ihr Fach nicht studiert hatte und an keiner wissenschaftlichen Institution arbeitete. Gleichwohl hat die hohe Einschätzung der libertschen Forschungsarbeit auch fast zwei Jahrhunderte später Bestand. Die Wissenschaftshistorikerin Mary Creese präsentierte 2004 in dem zusammen mit ihrem Mann Thomas Creese veröffentlichten Buch “Ladies in the Laboratory II: West European Women in Science, 1800-1900“ Marie-Anne Libert als Wissenschaftspionierin des 19. Jahrhunderts. Noch aktueller untersuchten Sara Maroske und Tom W. May (Studies in Mycology, 2018) die wissenschaftliche Lebensleistung der eifelbelgischen Mykologin (Pilzforscherin). Maroske und May stellen heraus, dass Libert zu den nur 43 Frauen in der westlichen Welt gehörte, die vor dem Jahr 1900 mykologisch publizierten und zu den weltweit nur 12 Frauen, die vor dem 20. Jahrhundert neue Pilzarten entdeckten – und dies alles von ihrem kleinen Heimatort aus.
Anne-Marie Libert war das zwölfte von 13 Kindern des Gerbereibesitzers und Bürgermeisters Henri-Joseph Libert und dessen Ehefrau Marie-Jeanne Dubois. Ihr Geburtsort, wo die Liberts seit dem 15. Jahrhundert ansässig waren, wurde in ihren Kinderjahren noch von Coelestin Thys (1730-1796), dem 76. und letzten Fürstabt von Stablo-Malmedy, regiert, ehe Malmedy 1794 unter französische und 1815 unter preußische Herrschaft kam. Obwohl Anne-Marie Libert die meiste Zeit ihres Lebens als „Preußin“ verbrachte, verstand sie sich selbst als überzeugte Belgierin: „Ich bin als Belgierin geboren und werde als Belgierin sterben!“ Die Verwurzelung der Liberts in Malmedy brachte es mit sich, dass die Bürgerstochter in einem vertrauten Umfeld von Verwandten und Bekannten aufwuchs. Ihren ersten Unterricht erhielt sie von ihrer Tante, der Priorin Marie-Suzanne Libert. Mit 12 Jahren schickte der Vater seine hochbegabte Tochter zur weiteren Ausbildung in ein Mädchenpensionat nach Prüm. Als Schülerin beeindruckte sie dort mit ihren mathematischen Leistungen und als Geigenspielerin. Das später für ihre Forschungsarbeiten so wichtige Latein brachte sie sich im Selbststudium bei.
Nach ihrer Rückkehr nach Malmedy, wo sie fortan für das familieneigene Gerberei-Unternehmen tätig war, wurde deutlich, dass ihr Hauptinteresse in Naturbeobachtung und Naturforschung bestand. Durch exakte Beobachtungen, gezieltes Sammeln und eingehendes Studium der Fachliteratur entwickelte sich Libert schnell zur gefragten Expertin vor allem der heimischen Pflanzenwelt. Ihr Spezialgebiet wurden die Kryptogame, also jene Pflanzen, die sich „verborgen“ und ohne Blüten fortpflanzen. Dazu zählen Moose, Flechten und Farne – und Pilze. Gerade in der Beobachtung und Klassifizierung der in den Wäldern der Ardennen so vielfältig vorkommenden Pilze war Anne-Marie Libert unübertroffen. Kurz vor 1810 kam Libert in Kontakt mit dem wallonischen Mediziner und Botaniker Dr. Alexandre Lejeune (1779-1858), der damit beauftragt war, die Flora im napoleonischen Département de l’Ourthe – also im heutigen Deutschbelgien und seinem Umkreis – zu inventarisieren. Daraus entwickelte sich eine enge wissenschaftliche Zusammenarbeit; Liberts Beobachtungen gehörten in den Publikationen von Lejeune zu den meistzitierten. Bereits 1810 war der berühmte Schweizer Botaniker Augustin Pyramus de Candolle (1778-1841) bei einer Wallonien-Reise auf Libert aufmerksam geworden und hatte sich bewundernd über das Fachwissen der jungen Amateurforscherin geäußert. Im weiteren Verlauf ihres Lebens baute Libert ihren Ruf als Kryptogamistin und Mykologin eindrucksvoll aus. Sie beschrieb insgesamt mehr als 200 neue Taxa (Gattungen und Arten), was dazu führte, dass ihr Name in unterschiedlicher Form (z. B. Libertia, Libertella, Libertiae) bei botanischen Benennungen, primär von Pilzen, verewigt ist.
Libert, Mitglied wissenschaftlicher Gesellschaften, wurde in Malmedy, wo sie über ein wertvolles Herbarium und ausgiebige Fachliteratur verfügte, oft von Forscherkollegen aufgesucht; sie beriet diese bei Exkursionen. 1836 wählte man sie auf einem belgischen Wissenschaftskongress zur Präsidentin der naturwissenschaftlichen Sektion. Zu Liberts Leistungen gehörte, dass sie einen Pilz als Ursache für verheerende Kartoffelerkrankungen benannte und damit – laut Maroske/May – auch zu den Pionierinnen der Pflanzenpathologie zu zählen ist.
Ein ganz anderes Forschungsfeld, dem Libert eifrig nachging, war die Geschichte ihrer Heimatregion. Anlässlich ihres Beitrags zur Herkunft des Abts Wibald von Stablo (1098-1158) nannte der Eifelgeschichtsschreiber Georg Bärsch (1778-1866) Libert eine „gelehrte Geschichtsforscherin“. Intensiv arbeitete sie auch an einem wallonischen Wörterbuch. Marie-Anne Libert starb 1865 in Malmedy. Ihr Lebenswerk wurde in einem Nachruf von B.-C. Du Mortier (1797-1878), dem Präsidenten der belgischen botanischen Gesellschaft, mit höchstem Respekt gewürdigt.
Verfasser: Gregor Brand

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