Martin von Cochem

Wie Pater Martin von Cochem wirklich aussah, ist unbekannt. Aber sowohl seinen katholischen Zeitgenossen als auch späteren Lesern seiner ungewöhnlich populären Schriften war meist das typische Erscheinungsbild der Kapuziner vertraut: vollbärtige, fromme Männer im braunen Ordensgewand mit Kapuze. Diesem franziskanischen Orden, für den strenge Askese und die Nähe zu den Armen kennzeichnend sind, schloss sich Martin von Cochem als 18-Jähriger an und blieb ihm bis zu seinem Tod mit 77 Jahren treu.

Weitgehend im Dunkel liegen Herkunft und Jugendjahre Martins, dessen eigentlicher Nachname „Linius“ lautete. Im verwandtschaftlichen Umfeld finden sich mehrere Apotheker und gegen Ende des 18. Jahrhunderts war ein Dr. jur. Johann Jakob Linius Amtsverwalter in Kyllburg. Martins aus Bernkastel stammender Vater Matthias hatte in zweiter Ehe Margarethe, eine Bürgerstochter aus Cochem, geheiratet und lebte danach im Heimatort seiner Frau, damals ein Dorf von nur mehreren hundert Einwohnern. Dort in der heutigen Liniusstraße kam ihr Erstgeborener im Dezember 1634 zur Welt, in der gerade der Dreißigjährige Krieg grausige Blutspuren hinterließ. Dankbar, diese Kriegsnöte überlebt zu haben, trat Martin im März 1653 in den Kapuzinerorden ein; von da an führte er nach Kapuzinertradition den Namen Martin von Cochem.

Nach mehrjähriger Probe- und Lernzeit wurde er 1657 ungewöhnlich früh zum Priester geweiht, bevor er zum theologischen Weiterstudium nach Aschaffenburg zog. Als qualifizierter Theologe unterrichtete der junge Kapuzinerpater anschließend als Lektor Ordensmitglieder in Mainz. Das mystische Jahr 1666, an dem viele Christen den Weltuntergang erwarteten und die Juden wegen ihres mutmaßlichen Messias Sabbatai Zwi in höchster Unruhe waren, brachte für Pater Martin, dessen Lehrtätigkeit von im Rheinland grassierenden Seuchen unterbrochen wurde, eine Lebenswende: Er veröffentlichte sein erstes Buch, einen Katechismus für Kinder. Dieses „Kinderlehrbüchlein“, in dem er sich für eine bessere religiöse, aber auch allgemeine Erziehung der Kinder einsetzte, war zwar äußerlich „das kleinste und bescheidenste Büchlein, das P. Martin geschrieben“ (J. C. Schulte), wurde aber aufgrund seines einfach-klaren Stils in katholischen Kreisen begeistert aufgenommen. Die Kapuziner befreiten bald darauf ihren literarisch-volksmissionarisch sichtlich hochbefähigten Mitbruder von seinen Lektorenaufgaben, um ihm mehr Zeit zum Schreiben zu geben. Der hoch disziplinierte Pater Martin dankte dies in den folgenden Jahrzehnten mit einer Vielzahl von Büchern, die ihn zu einem der wichtigsten katholischen deutschsprachigen Barockautoren machten. Seine Heiligenlegenden und Gebetbücher, seine Meditationsschriften und Erbauungswerke für unterschiedliche Zielgruppen, vor allem aber seine aufwühlende Darstellung über das „Leben Christi“ erreichten bis zum 20. Jahrhundert riesige Auflagenzahlen und prägten die Frömmigkeit von Generationen. Der theologisch sehr belesene Pater wandte sich in franziskanischem Geist mit seinem volkstümlichen Schreibstil bewusst an die einfachen, formal kaum gebildeten Gläubigen. Manche Kritiker verleitete dies zu dem oberflächlichen Fehlschluss, Pater Martin sei ein naiver oder gar einfältiger Mensch gewesen. Der große österreichische Germanist Wilhelm Scherer (1841–1886) lobte demgegenüber die farbig-anschauliche und emotional mitreißende „mächtige Darstellungskraft“ Pater Martins in höchsten Tönen.

Es ergäbe ein unvollständiges Bild dieser heiligmäßigen Persönlichkeit, wenn man sich ihn als weltfernen, in seinem Klosterkämmerlein schreibenden Mönch vorstellen würde. Der Eifelmoselaner verstand sich auf umfassende seelsorgerische und administrative Arbeiten. Für die Erzbischöfe von Mainz und Trier wirkte er als Visitator, was mit beschwerlichen Fußreisen in deren Diözesen verbunden war: „Eine kräftige, auch den schwersten Strapazen und einer rücksichtslosen Aufopferung nicht erliegende Körperconstitution kam ihm dabei zu Gute“ (F. X. Kraus). Pater Martin war es selten vergönnt, länger an einem Ort zu verweilen. Günzburg, Prag, Aschaffenburg waren nur einige seiner Klosterstationen, stets verbunden mit aufreibender seelsorgerischer und schriftstellerischer Tätigkeit. Seine letzten Lebensjahre verbrachte der trotz seiner Berühmtheit demütige Pater, der seiner Unterschrift hinzufügte „unnützer Kapuziner“, im Wallfahrtskloster Waghäusel, wo er 1712 nach einem Treppensturz starb und wo sich seine letzte Ruhestätte befindet.

Verfasser: Gregor Brand

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