Matthias Zender

„Oberhalb Manderscheid an der Lieser ist das Keschtejifferchen. Auf Karfreitag gingen mal zwei arme Weiber krauten. Die haben da Musik gehört, und sie haben einen Mann vor sich gesehn. Das war das Kischtejifferchen. Da haben sie sich heimgemacht.“

Fast 2000 solcher „Sagen und Geschichten aus der Westeifel“ sind von Matthias Zender (1907–1993) gesammelt und 1935 herausgegeben worden. Der in Niederweis geborene und bestattete Bauernsohn, der 1926 als Klassenkamerad des Kardinals Joseph Höffner in Trier Abitur machte, hatte die Geschichten auf seinen „Sagenfahrten“ in den Jahren nach 1929  aufgezeichnet. Auf der Suche nach dem Gedächtnis seiner Heimat bereiste der junge Volkskundler die Dörfer und Weiler der Westeifel. In vielen – von ihm genau dokumentierten – Ortschaften wurden ihm Geschichten erzählt, wie sie damals an den Herdfeuern noch geläufig waren. Darin war oft von Hexen, zauberkundigen Pfarrern, Geistern und merkwürdigen Vorfällen die Rede. Zender war an diesem kulturellen Erbe, das ohne ihn in Vergessenheit geraten wäre, bereits länger hoch interessiert. Noch als Schüler hatte er seine erste Arbeit veröffentlicht: „Wie den Donena hir Doaf verbrannt as. Ein Dahnener Streich, erzählt in der Mundart von Niederweis“. 1926 begann er in Bonn mit dem Studium der Volkskunde, Geschichte und Germanistik; dort schloss er es nach einem Zwischenaufenthalt in Österreich auch ab. Von 1929 an arbeitete er als Assistent beim Rheinischen Wörterbuch mit, 1938 promovierte er über „Die Sage als Spiegelbild von Volksart und Volksleben im westdeutschen Grenzland“. Zender galt zu diesem Zeitpunkt längst als Experte für die Volkskunde von Eifel und Ardennen, zumal er 1935 auch noch die humorvollen „Volksmärchen und Schwänke aus der Westeifel“ herausgegeben hatte. Der Weltkrieg unterbrach das Forscherleben des Westeiflers – zum Glück nicht für immer. Erst 1954 konnte er sich in Bonn mit einer Arbeit über mittelalterliche Heiligenverehrung habilitieren und übernahm nun die Gesamtleitung für den Atlas der deutschen Volkskunde. Während seiner Professur (1960–1975) am Bonner Lehrstuhl für Volkskunde entwickelte Zender, Mitherausgeber ethnologisch-volkskundlicher Zeitschriften, eine rege Aktivität. Die für Rheinland und Eifel so wichtige Thematik der Heiligenkulte griff er mehrfach wieder auf. So galt eines seiner Bücher der Quirinus-Verehrung; in Aufsätzen beschäftigte er sich mit weiteren Formen volkstümlicher Heiligenverehrung. Zender genoss weit über die Bundesrepublik hinaus hohe Anerkennung. Er wurde unter anderem Ehrenmitglied der Königlichen Gustav-Adolfs-Akademie zu Uppsala und Komtur des päpstlichen Gregorius-Ordens. Die Wertschätzung zeigte sich auch in der  Festschrift zu seinem 65. Geburtstag. Passend zu Zenders sowohl bodenständiger wie wissenschaftlicher Persönlichkeit finden sich dort unter den Gratulanten neben seinen Verwandten aus Niederweis und angesehenen Persönlichkeiten aus der Region international bedeutende Gelehrte wie F. Irsigler, J. Jech oder der Finne M. Kuusi. 

Bei allem Gelehrtenruhm war Zender im Rückblick auch von Wehmut erfüllt. Überdeutlich war ihm bewusst, dass die „in sich geschlossene, einheitliche und festgegründete Vorstellungswelt“ (M. Zender) seiner bäuerlichen Heimat, wie er sie einst bei seinen Kundfahrten kennengelernt hatte, für immer dahin war. Der Titel eines Zender-Beitrags aus dem Jahr 1965 lautete: „Alte Bauernwelt versinkt“. Bevor der herausragende Volkskundler als Ehrenbürger von Niederweis verstarb, hatte er erleben müssen, dass sich die Strukturen in der Eifel noch radikaler gewandelt hatten als von ihm vorauszusehen war. Zender ist es zu verdanken, dass wir heute trotz des Wegbrechens traditioneller Lebenswelten noch erfahren können, „Was der Eifeler gegen Zahnschmerzen tut“ oder was es an „Mummereien im Rheinland“ gab – um nur zwei der zenderschen Aufsatztitel zu nennen. Sein wichtigstes Werk für die Eifel wird das erwähnte Sagenbuch bleiben, das den Leser in eine leicht- und abergläubische, vorwissenschaftliche Welt führt. Ehe man allerdings die Nase rümpft über die Eifelgeschichten von Puhmännchen, Hilzmädchen und Gespensterhunden, sollte man an manche modernen medialen Fantasien denken, die im 21. Jahrhundert nicht weniger begierig aufgenommen werden als einst die „Steckelscher“ über Geldfeuer, Gottesstrafen und groteske Gespenster.
 
Verfasser: Gregor Brand
 

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