Otto Semmelroth

Jesuit und Theologe aus Bitburg

Das II. Vatikanische Konzil (1962 – 1965) führte im katholischen Christentum zu revolutionären Veränderungen: „Das Vatikanum II ist das 1789 der Kirche“ (so der belgische Kardinal Suenens). Angesichts der Hunderte von Millionen Katholiken weltweit ist es bemerkenswert, dass zwei bedeutende Konzilstheologen aus derselben Eifler Kleinstadt kamen: der Liturgiewissenschaftler Balthasar Fischer und der Jesuit Semmelroth; sie gehörten sogar demselben Jahrgang 1912 an. Otto Semmelroth war der Erstgeborene des Justizobersekretärs Otto Semmelroth und dessen Ehefrau Margarethe (geb. Schmitz). Sein jüngerer Bruder Wilhelm Semmelroth (1914 –1992) wurde später ein prominenter Regisseur und Dramaturg.

Noch während der Kinderjahre von Otto und Wilhelm zog die Beamtenfamilie nach Bonn. Eine tiefgreifende Weichenstellung im Leben Ottos erfolgte, als er sich nach dem Abitur als 20-Jähriger dem Jesuitenorden anschloss und 1932 bei den Jesuiten im niederländischen s-Heerenberg als Novize eintrat. Obwohl – oder weil – die Jesuiten damals von vielen Seiten angefeindet wurden, sei es etwa durch Kommunisten oder Nationalsozialisten, blieb Semmelroth auf seinem Kurs. Er studierte an der jesuitischen Hochschule in Valkenburg Theologie und wurde 1939 zum Priester geweiht. Nach Kriegsende folgten weitere theologisch-philosophische Studien in Bonn und Valkenburg. 1947 promovierte er über das Thema „Das ausstrahlende und emporziehende Licht. Die Theologie des Pseudo-Dionysius Areopagita in systematischer Darstellung“. Er wandte sich damit dem Werk eines anonymen Theologen aus dem Frühmittelalter zu, das auch für das Weltbild des Nikolaus von Kues (1401 –1464) hoch bedeutend war. Vielleicht hätte Semmelroth weiter die geistesgeschichtlichen Wurzeln und Spuren dieser Lichttheologie verfolgt, wenn nicht damals ein anderes Thema die Geister der katholischen Welt besonders bewegt hätte: die Gottesmutter Maria. Am Allerheiligentag 1950 verkündete Papst Pius XII. kraft seiner Unfehlbarkeit das Dogma von der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel. Dieser kirchengeschichtlich einzigartige päpstliche Akt veranlasste Laien und Priester zu gesteigerter Reflexion über Maria. Semmelroths Schrift „Urbild der Kirche: Organischer Aufbau des Mariengeheimnisses“ (1950) gehörte zu denjenigen, die unter Theologen besondere Aufmerksamkeit fanden. Inspiriert unter anderem von dem stark mariologisch ausgerichteten Theologen Carl Feckes (1884 – 1958) trug Semmelroth zu einem vertieften Marien-Verständnis bei. Für den Jesuitengelehrten war Maria Urbild und Archetyp der Kirche, und er meinte, aus diesem Verständnis heraus seien die meisten anderen Bezeichnungen, mit denen sie verehrt wird, abgeleitet. Maria stehe symbolisch für die aktive Mitwirkung der Kirche – und damit jedes Einzelnen – am Erlösungswerk Christi. In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten habe die frühe Kirche ihre Auffassung von Christus gerade auch durch die Bezeichnungen Mariens als Jungfrau und Mutter ausgedrückt.   

Noch bekannter wurde ein Buch aus dem Jahr 1953: „Kirche als Ursakrament“. Dieses Werk Semmelroths, der seit 1950 als Dogmatik-Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main lehrte, wurde nicht nur mehrfach aufgelegt, in mehrere Sprachen (darunter Japanisch) übersetzt, sondern wird bis in die Gegenwart weiter diskutiert. Semmelroth setzte sich darin mit der Frage auseinander, was die Kirche eigentlich ist – eine theologische Grundsatzfrage, deren praktische Bedeutung für die Stellung der Kirche in der Welt und die Mitwirkung der Gläubigen nicht zu unterschätzen ist. Semmelroth verstand die Kirche nicht primär als Institution, sondern als Ursakrament, d. h. als Wurzel, aus der die anderen sieben Sakramente abgeleitet sind. Beim Konzil spielte das
Konzept der „Kirche als Sakrament“ in den Erörterungen und Entscheidungen eine maßgebliche Rolle. Semmelroth war seit Konzilsbeginn vor Ort in Rom, anfangs als Berater des Mainzer Bischofs und späteren Kardinals Hermann Volk, ab 1963 als offizieller Konzilsperitus. Als Peritus durfte er an den Generalkongregationen teilnehmen, allerdings ohne Stimmrecht. Der Jesuitenprofessor wirkte an wichtigsten Konzilskonstitutionen mit (Lumen Gentium; Gaudium et Spes; Dei verbum), durchgängig in engem Kontakt mit der Elite deutscher Konzilstheologen wie dem Jesuiten Karl Rahner (1904 – 1984) oder Joseph Ratzinger, dem späteren Kardinal und Papst; beide Giganten des deutschen Katholizismus schätzten Semmelroth sehr. Das Konzilstagebuch Semmelroths gilt als wichtige Quelle für Informationen zum Hintergrund der konziliaren Entscheidungsprozesse. Zur Vertiefung der durch das Konzil eingeleiteten Erneuerung gründete Semmelroth zusammen mit Rahner die „Theologische Akademie an St. Peter“ (heute: „Karl-Rahner-Akademie“) in Köln.

Obwohl schon während der Konzilsjahre schwer an Diabetes leidend, ging Semmelroth auch danach mit großem Einsatz seinen akademischen Verpflichtungen nach. Er veröffentlichte weiterhin zu Grundfragen katholischen Glaubens und amtierte sogar noch von 1972 bis 1978 als Rektor der Hochschule St. Georgen. Ein Jahr nach dem Eintritt in den Ruhestand verstarb er am 24. September 1979 im Alter von 66 Jahren in Frankfurt am Main; dort ist er auch begraben.

Verfasser: Gregor Brand

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