Patrick Schlösser – Theaterregisseur aus Bitburg

Als der erst 45-jährige Patrick Schlösser am 16. Februar 2017 in Berlin starb, ließen die zahlreichen Nachrufe und Meldungen keinen Zweifel an seiner herausragenden Bedeutung in der zeitgenössischen Theaterszene.  Der im November 1971 in Bitburg geborene Regisseur war ein Sohn des Polizeidirektors und führenden CDU-Kommunalpolitikers Hermann Schlösser und dessen Ehefrau Margit. Er besuchte das St.-Willibrord-Gymnasium seiner Geburtsstadt, das damals von dem Altphilologen Edgar Klauk geleitet wurde. Dass Direktor Klauk von altgriechischen Tragödien fasziniert war und dessen Sohn Markus Klauk (geb. 1973 in Prüm) Schauspieler wurde, spielte allerdings für den Werdegang Schlössers wohl keine Rolle. In einem aufschlussreichen Gespräch mit der „WELT“-Kulturredakteurin Dr. Christiane Hoffmans aus dem Jahr 2001 hob er vielmehr den Einfluss seiner theaterbegeisterten Oma hervor, die seinerzeit den 14-jährigen Enkel ins Theater Trier mitgenommen hatte und damit einen lebensprägenden Prozess beförderte. Nach dem Abitur studierte Schlösser 1992 Musikwissenschaft, Anglistik und Theaterwissenschaften auf Lehramt. Die Orientierung am Lehramt war dem verständlichen Wunsch nach einem Brotberuf geschuldet und dem Zögern, sich gleich auf den waghalsig erscheinenden Berufswunsch Regisseur einzulassen. Aber der schon länger gehegte Theatertraum drängte auf Verwirklichung. 1993 gab Schlösser das Studium trotz starker Bedenken aus dem Elternhaus auf. Seine später so erfolgreiche Karriere am Theater begann im gleichen Jahr als Hospitant am Landestheater Mainz. Zu dieser Zeit arbeitete dort die renommierte polnische Regisseurin und Intendantin Anna Badora, deren Assistent Schlösser wurde und von der er viel lernte. Als Badora 1996 Generalintendantin des Düsseldorfer Schauspielhauses wurde, folgte ihr Schlösser an den Niederrhein. In Düsseldorf begegnete er als prägendem Lehrmeister dem Regisseur und Schauspieler Einar Schleef (1944 –2001). Dass er für Schleef als Regieassistent arbeiten durfte, war eine außergewöhnliche Anerkennung, da Schleef zu den berühmtesten europäischen Theaterakteuren gehörte und seine Arbeiten vielfach als Meilensteine gefeiert wurden.

Die erste eigene Inszenierung Schlössers erfolgte 1999 mit dem Stück „Messer in Hennen“ des schottischen Dramatikers David Harrower (geb. 1966). Für sein Regiedebüt erhielt der junge Bitburger den Förderpreis der Stadt Düsseldorf. Bereits ein Jahr später inszenierte Schlösser in Düsseldorf das Schauspiel „Anatol“ von Arthur Schnitzler. Die Interpretation des Schnitzler-Werks verhalf Schlösser zu weitreichender Beachtung. Er erhielt nicht nur den Förderpreis des Landes NRW, sondern spätestens jetzt wurde sein Name in der Theaterwelt ein Begriff. Jede folgende Inszenierung wurde von der Kritik aufmerksam registriert. Noch vor seinem 30. Geburtstag galt Schlösser als „Shooting-Star unter den Regisseuren“ (C. Hoffmans). Neben anderen Fähigkeiten wurde seine Begabung bewundert, Schauspielerinnen und Schauspieler zu Höchstleistungen zu führen. Schon bei seiner Inszenierung von Theresia Walsers „King Kongs Töchter“ war die Rede von Schlössers „Schauspielerblühwunder“ (Theater der Zeit); später wies der Theaterkritiker Dietmar Zimmermann auf Schlössers Anteil an der Entdeckung der Schauspielerin Lisa Hagmeister hin.

Von 2000 bis 2002 hatte Schlösser ein festes Engagement am Schauspielhaus Bochum. Neben und nach seinen Bochumer Inszenierungen war er auf anderen Bühnen im deutschsprachigen Raum präsent, vom Norden (Lübeck, Hamburg) über den Osten (Berlin) und Westen (Düsseldorf, Krefeld) bis nach Österreich (Wien, Graz, Linz) und die Schweiz (Basel). Sein Repertoire erstreckte sich von Werken illustrer Schriftsteller wie Shakespeare, Molière oder Ibsen bis zu Stücken eminenter Autoren der Moderne (Schnitzler, Thomas Bernhard) und der Gegenwart (z. B. Benedikt Haubrich). Mit großem Erfolg wagte sich Schlösser zudem an musiktheatralische Aufführungen, seien es Opern von Mozart und Rossini oder zeitgenössische Musicals. Im hochkreativen Fluss seines Schaffens lassen sich räumlich-beruflich nur wenige festere Stationen ausmachen. Ab 2010 war er vier Jahre lang Oberspielleiter am Staatstheater Kassel. Danach arbeitete er wieder als freier Regisseur, wobei man diese Freiheit nicht nur auf seine berufliche Situation, sondern auch auf seine Persönlichkeit als freier Geist beziehen kann.

Die knappen Hinweise auf sein produktives Lebenswerk als Regisseur lassen erahnen, mit welcher Intensität er zu Werke ging. Schon früh war ihm der aufzehrende Aspekt seines energiegeladenen Arbeitens bewusst. Obwohl Regisseur für ihn seit Jugendtagen ein Traumjob war, verkannte er dessen auch destruktives Potenzial keineswegs. In dem eingangs erwähnten Beitrag von C. Hoffmans ist die Rede vom „zerstörerischen Job“, dessen nervenaufreibenden Charakter er vor allem bei Premieren spürte. Das Stadttheater Klagenfurt, wo Schlösser mit „Othello“ wenige Tage vor seinem Tod letztmalig Premiere gefeiert hatte, schrieb in einem Nachruf: „Er hat unserem Haus und unserem Publikum die schönsten Theaterstunden geschenkt“. Der in Berlin verstorbene große Regisseur wurde in seinem Heimatort auf dem Friedhof Kolmeshöhe beerdigt.

Verfasser: Gregor Brand

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