Pierre Prüm

Luxemburgischer Politiker aus Ulflingen

Am Dreiländereck, wo der deutsche Teil der Eifel an die belgische Eifel und an Luxemburg grenzt, liegt auf luxemburgischer Seite der Ort Ulflingen. Dessen französischer Name Troisvierges (Drei Jungfrauen) hängt vermutlich mit der vorchristlichen Verehrung einer weiblichen Dreiergottheit zusammen, wie sie auch für andere Eifelorte bezeugt ist. Aus diesem Grenzgebiet, bei dem eine sprachlich-religiös und kulturell gleiche Bevölkerung durch die Politik auf verschiedene Staaten verteilt wurde, stammt der 1886 in Ulflingen geborene Politiker Pierre Prüm. Er war ein Sohn des Gerbereibesitzers und Politikers Émile Prüm (1857 – 1922) aus Clerf und dessen Ehefrau Marie Gillen (gest. 1940). Der erzkatholische Émile Prüm bestimmte als Bürgermeister und Herausgeber einer Zeitung jahrzehntelang das Geschehen in seiner Heimat entscheidend mit.
Immer schon preußenfeindlich, wurde Émile Prüm im Weltkrieg zum regelrechten Deutschenfeind; er hielt die deutsche Kultur von der antichristlichen Philosophie Nietzsches geradezu für verseucht. In diesem geistigen Milieu wuchs sein Sohn Pierre auf, der nach seinem Jurastudium in Löwen die väterlichen Aktivitäten in Clerf unterstützte. Vater und Sohn Prüm traten der konservativ-christlichen Parti de la Droite (Rechtspartei) bei; aus dieser Partei ging 1944 die Christlich-Soziale Volkspartei (CSVP) hervor, die bis heute im politischen Leben Luxemburgs eine führende Rolle spielt. Gegen Ende des Weltkriegs kam es auch in Luxemburg zu politischen Unruhen und erbitterten Auseinandersetzungen. Radikale Sozialisten unter Führung des Arztes und Publizisten Michel Welter (1859–1924) forderten unter anderem die Abschaffung der Monarchie und die Verstaatlichung der Industrie. Pierre Prüm war entschiedener Gegner dieser Richtung und gab die Parole aus: „Nieder mit der roten Revolution, an deren Spitze Michel Welter, der Feind des Öslings steht!“
Noch vor Kriegsende verließ Pierre Prüm die Rechtspartei und wurde Gründungsvorsitzender der Unabhängigen Nationalpartei (PNI). Diese neue Formation erhielt bei der Wahl 1919 und bei den folgenden Wahlen die viertmeisten Stimmen. Im März 1925 wurde Prüm an der Spitze einer mit knapper Mehrheit regierenden Koalitionsregierung zum Regierungschef ernannt, zudem leitete er das Außen-, Innen- und Landwirtschaftsministerium. Innenpolitisch trat der Streit um Arbeitnehmerrechte in den Vordergrund. Prüm befürwortete deren Ausdehnung, aber im Mai 1926 versagten ihm wirtschaftsfreundliche liberale Abgeordnete die Unterstützung; nach deren Meinung hatte er den Gewerkschaften zu große Zugeständnisse gemacht. Der Konflikt führte dazu, dass die Regierung Prüm bereits im Juni 1926 ihren Rücktritt erklärte und Prüm seine Ämter niederlegte.
Der 40-jährige Jurist zog sich nun aus der Politik zurück und wurde Friedensrichter im heimatlichen Clerf. Dass er auch weiterhin an politischen Fragen hoch interessiert war, dokumentieren Veröffentlichungen aus den dreißiger Jahren. So ergriff er 1936 das Wort, als wegen der Besetzung des entmilitarisierten Rheinlands der europäische Frieden gefährdet schien. In einem Zeitungsbeitrag hob er hervor, dass Luxemburg wegen seiner Lage existenziell auf Frieden angewiesen sei. Prüm wies auf die angeblich seit jeher bestehende Freundschaft mit Frankreich hin, andererseits lobte er auch in zeittypischer Ausdrucksweise die „Qualitäten der deutschen Rasse“ („les qualités de la race allemande“ im französischen Original). Als die luxemburgische Regierung in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre immer schärfer gegen die Opposition vorging, war Prüm damit nicht einverstanden. Unterstützt von einem heterogenen Bündnis teils von radikalen Linken, teils auch von rechter Seite, wurde der populäre Prüm, der inzwischen als Anwalt tätig war, als unabhängiger Kandidat 1937 erneut ins Parlament gewählt. Während der deutschen Besatzung und Annexion Luxemburgs im zweiten Weltkrieg trat Prüm nach Darstellung des Historikers Henri Wehenkel (geb. 1940) weder durch offene Widerstandshandlungen noch durch Kollaboration mit der Besatzungsmacht hervor. Dies bewahrte ihn jedoch nicht davor, in die lebensbedrohlichen Auseinandersetzungen verwickelt zu werden. Sowohl mit der NS-Herrschaft sympathisierende Landsleute wie der Clerfer Lehrer und Intellektuelle Damian Kratzenberg (1878 – 1946) als auch Widerständler verdächtigten Prüm, der jeweils anderen Seite nahezustehen. Prüm hatte sich überdies schon in der Vorkriegszeit als Politiker, aber auch als Anwalt, in Kreisen der Großindustrie manche Feinde gemacht – vor allem den einflussreichen Politiker Léon Laval (1880 – 1957). Die genauen Hintergründe sind bis heute noch nicht aufgeklärt, aber fest steht, dass Prüm im September 1944 von Milizionären ohne formelle Grundlage verhaftet wurde. Im November 1946 wurde er wegen angeblicher Kollaboration zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Obwohl er nach Auftauchen entlastender Dokumente bald wieder frei kam, hatten ihn die Konflikte gesundheitlich zermürbt und finanziell ruiniert. Prüm starb im Februar 1950. Der Historiker Wehenkel schließt sich der bereits vom Widerständler Nicolas Molling (1902 – 1964) vertretenen Meinung an, dass es „der Gipfel der Komik und Lächerlichkeit“ wäre, den „guten Europäer“ Pierre Prüm für einen „Nazifreund“ zu halten.
Verfasser: Gregor Brand

 

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