Richard A. Isay

Amerikanischer Psychoanalytiker und Psychiater, Enkel eines Auswanderers aus Schweich

Bis weit ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts wurde Homosexualität nicht nur von großen Teilen der amerikanischen Bevölkerung, sondern auch von Psychoanalytikern und Psychiatern als Störung und Fehlentwicklung, teilweise sogar als Krankheit, angesehen. Die älteste Berufsvertretung der US-Psychoanalytiker, die American Psychoanalytic Association (APsaA), verweigerte Menschen, die sich offen als Homosexuelle bekannten, eine Tätigkeit an ihren Einrichtungen. Erst 1973 wurde Homosexualität von der größten US-Psychiater-Vereinigung, der American Psychiatric Association (APA), offiziell aus der Liste der Krankheiten gestrichen. Gleichwohl änderte sich dadurch die Einstellung von Psychiatern und Psychoanalytikern nicht von einem Tag auf den anderen. Unter den Persönlichkeiten, die die konventionelle Haltung der Psychoanalyse reformierten, kommt Richard Isay besondere Bedeutung zu. Für Isay beruhte Homosexualität nicht auf einer Fehlentwicklung der kindlich-ödipalen Phase, sondern er sah sie als eine genauso „natürliche“ sexuelle Orientierung wie die Heterosexualität.

Richard A. Isay kam 1934 als Sohn von Milton Isay und Jeannette Mayer in Pittsburgh/Philadelphia zur Welt. Sein noch in Schweich geborener Großvater Hermann Isay (1869-1932) entstammte der dortigen eifeljüdischen Isay-Familie, die durch ihren Reichtum an intellektuell herausragenden Persönlichkeiten beeindruckt. Die Ausbildung Richard Isays begann an der Privatschule Shady Side Academy und führte dann über das Haverford College zur University of Rochester, wo er 1961 den medizinischen Doktortitel erwarb. Als College-Student hatte sich Isay unter dem Einfluss der Lektüre deutschsprachiger Philosophen und Psychologen wie Schopenhauer und Nietzsche oder Sigmund Freud und C. G. Jung entschlossen, Psychoanalytiker zu werden. Die dafür erforderliche Zusatzqualifikation erwarb er sich an der Yale University. Mitte der 1960er Jahre, als der Vietnam-Krieg immer stärker eskalierte, arbeitete Dr. Isay zwei Jahre lang als Psychiater bei der US-Navy. Ab 1968 unterrichtete er am Western New England Psychoanalytic Institute (New Haven) und führte zudem eine eigene psychoanalytische Praxis. Als Professor für Psychiatrie lehrte er am Weill Cornell Medical College (New York City) und an der Payne Whitney Psychiatric Clinic (Manhattan); als Mitglied der Fakultät der Columbia University bildete er dort den psychoanalytischen Nachwuchs aus.

1964 heiratete er Jane Franzblau, die seit vielen Jahren selbst als Autorin und Verlegerin hervorgetreten ist. Aus der Ehe gingen zwei sehr erfolgreiche Söhne hervor: David Isay (geb. 1965) ist vielfach geehrter Radioproduzent; 2015 erhielt er den mit einer Million Dollar dotierten TED-Preis. Der jüngere Sohn Josh Isay gehört, politisch den Demokraten verbunden, zu den führenden Medien- und Politikberatern der USA.

Für Richard Isay waren es primär persönliche Erlebnisse sowie Erfahrungen aus seiner psychoanalytischen Praxis, die ihn in einem schwierigen Prozess im Lauf vieler Jahre dazu brachten, die hergebrachte Einstellung zur Homosexualität in Frage zu stellen. Er war fast 40, ehe er sich seiner eigenen Homosexualität sicher wurde, und erst 1980 offenbarte er diese seiner Frau Jane. Das Paar blieb noch mehrere Jahre – der Kinder wegen – zusammen, dann erfolgte die Scheidung. Isays neuer Lebenspartner wurde der Künstler Gordon Harrell, den er 2011 nach Legalisierung der „Homo-Ehe“ heiratete. Als sich Isay 1985 öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte, war er damit der erste Psychoanalytiker in der APsaA. Isays Positionen zur Homosexualität waren umstritten und führten zu heftigen Konflikten unter den Psychoanalytikern. So warf ihm der Psychiater und zeitweilige Vorsitzende der APsaA Homer C. Curtis (1917-2013) vor, Isays „Kreuzzug“ gegen diese Vereinigung verzerre deren Einstellung gegenüber Homosexuellen. Der Streit spitzte sich zu, als Isay damit drohte, die Psychoanalytiker-Vereinigung wegen Diskriminierung zu verklagen. Der Konflikt entschärfte sich, als sich die Vereinigung Anfang der 1990er Jahre offiziell im Sinne Isays bekannte.

Dr. Isay argumentierte für seine neue Sicht der Homosexualität nicht nur in Fachaufsätzen und auf psychiatrischen Tagungen und Kongressen, sondern auch durch Bücher, in denen er intensiv auf autobiografische Erfahrungen zurückgriff. Weit über die USA hinaus diskutiert wurde sein Werk „Being homosexual: gay men and their development“ (1989); es erschien 1993 auf Deutsch unter dem Titel: „Schwul sein: die psychologische Entwicklung des Homosexuellen“. Die größte Öffentlichkeit erreichte er mit Auftritten im US-Fernsehen in populären Talkshows wie „Larry King Live” oder „The Oprah Winfrey Show. Für seinen Einsatz wurde er mehrfach ausgezeichnet, 2005 gemeinsam mit der lesbischen Tennis-Legende Martina Navratilova. Isay nutzte die Gelegenheit, um vor der Droge Crystal Meth zu warnen; auch der Umgang mit HIV-Patienten hatte für ihn stets hohen Stellenwert. Professor Isay erlag 2012 in Manhattan einer Krebserkrankung. In einem Nachruf bilanzierte der Medizinjournalist Bob Roehr das Lebenswerk von Richard Isay pointiert: „Er heilte die Psychoanalyse von ihrer Homophobie“. 

Verfasser: Gregor Brand

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