Ritter Ludwig von Deudesfeld

Gründer des Klosters St. Thomas an der Kyll

Kurz vor Jahresende 1170 erschütterte ein besonders frevelhaftes Verbrechen die Christenheit: Am Altar der Kathedrale der englischen Stadt Cambridge wurde der englische Erzbischof und Lordkanzler Thomas Becket von Anhängern seines Königs Heinrich II. Plantagenet erschlagen. Die Nachricht über das Martyrium des bereits zwei Jahre nach seinem Tod heiliggesprochenen Thomas breitete sich wie ein Lauffeuer auf dem Kontinent aus. Nur zwei Jahre später veranlasste sie den in Deudesfeld lebenden Ritter Ludwig und seine Frau Ida dazu, selbst nach Canterbury aufzubrechen. Dieser Entschluss setzte ein geschichtlich bemerkenswertes Geschehen in Gang.

Wann Ludwig geboren wurde, ist unbekannt. Erstmalig genannt wird er als Zeuge in einer Urkunde für die Abtei Himmerod im Jahr 1171. Es kann gut sein, dass seine Kindheit in die Zeit der Gründung des Zisterzienserklosters Himmerod um 1135 fiel. Auf jeden Fall dürfte er die Anfangsjahrzehnte der nur 10 km von Deudesfeld entfernten Abtei aus eigenem Erleben gut mitbekommen haben; vielleicht hat ihn die zisterziensische Frömmigkeit sogar merklich mitgeprägt. Was Ludwig gegenüber anderen Eifler Adligen jener Zeit historisch heraushebt, war seine entscheidende Rolle bei der Vermittlung der Thomas-Verehrung in den deutschsprachigen Raum. Über deren Anfänge informiert eine Textsammlung des Benediktinermönchs Wilhelm von Canterbury, eines engen Vertrauten Beckets. William verzeichnete in mehreren Bänden die Berichte über die Wunder, die sich schon kurz nach dem Becket-Mord ereigneten und erstellte damit die größte Mirakelsammlung des Mittelalters. Im sechsten Buch dieser vermutlich 1174 abgeschlossenen Sammlung findet sich auch ein Text über den deutschen Ritter Ludwig – damit ist der Adlige aus Deudesfeld gemeint. Hervorgehoben wird der Besitzreichtum Ludwigs, vor allem aber seine ungewöhnliche Frömmigkeit. Beide Angaben entsprechen dem, was man auch aus anderen Quellen über Ludwig weiß. In dem Mirakeltext wird berichtet, dass Ludwig das Grab des heiligen Thomas in Canterbury besucht habe und „auf fromme Weise“ Reliquien des Märtyrers erhalten habe. Für diese habe er nach seiner Rückkehr eine Kapelle errichten lassen. Diese Kapelle, mit der ein Beherbergungshaus verbunden war, befand sich im heutigen St. Thomas im Kylltal; der vom Kyllwald umgebene Ort wurde durch Ludwigs Reliquienübergabe zu einer wichtigen Wallfahrtsstätte. Für die damaligen Menschen waren diese Reliquien – die ersten in deutschen Gebieten nachweisbaren Thomas-Reliquien überhaupt – von außerordentlicher religiöser Bedeutung, da sie an die Realpräsenz des Heiligen in den Reliquien glaubten. Mit anderen Worten: Ludwig hatte dafür gesorgt, dass im Glauben der Menschen der heilige Thomas Becket in dem kleinen Ort an der Kyll gegenwärtig war. Welche Reliquien dort aufbewahrt wurden, ist nicht genau bekannt; in den Jahren der napoleonischen Säkularisierung ging der Reliquienschrein verloren. Hinweise lassen darauf schließen, dass es Stücke des Schädels oder Gehirns des ermordeten Heiligen gewesen sein könnten. Williams Mirakelbuch erwähnt zahlreiche Wunderheilungen, die nun in St. Thomas einsetzten: Gelähmte konnten wieder gehen, Blinde sehen, Besessene wurden wieder vernünftig. Besonders frappant: Der Himmeroder Mönch Sefrid, vermutlich sogar selbst Verfasser dieser Geschichte, hatte sich sechs Jahre zuvor zur Bekämpfung der Lust die Geschlechtsteile abgeschnitten, erhielt sie aber auf Fürsprache des heiligen Thomas Becket wieder zurück. Nach Stefan K. Langenbahn, einem exzellenten Kenner der Geschichte von St. Thomas, fand die Reise Ludwigs und Ida nach Canterbury 1172/73 statt. Seiner Einschätzung nach ist St. Thomas an der Kyll „gewiß der einzige Ort der Eifel, dessen Anfänge in einer englischen Geschichtsquelle des Mittelalters ihren Niederschlag gefunden hat“.

Nur kurz nach der Errichtung der erwähnten Kapelle entstand dort, beeinflusst von Himmerod, ein Zisterzienserinnenkloster für adlige Frauen aus der Eifel. Es stand unter dem Patrozinium des heiligen Thomas Becket – eine ordensgeschichtliche Besonderheit, denn ein solches Patrozinium gab es in Europa sonst nur noch in der polnischen Diözese Gnesen. Ludwig und Ida schenkten dem neuen Kloster laut einer Urkunde vom 27. Juni 1185 nicht nur Ländereien, sondern bestimmten auch zwei ihrer Töchter zum Klostereintritt. Eine davon, deren Name vermutlich Elisabeth war, wurde erste Äbtissin. Ihre Nachfolgerin war nach neuerer Auffassung eine namentlich nicht bekannte Nichte. Über ihr Amt hinaus bedeutsam wurde diese anonyme Enkelin Ludwigs als Verfasserin der sogenannten „Visionen von St. Thomas“, des ältesten Zisterzienserinnentextes aus dem deutschsprachigen Raum. Neben den Töchtern ist auch ein Sohn des Ritters Ludwig bekannt: der gleichnamige Pfarrer Ludwig von Deudesfeld. Er überließ ganz im Geist seiner frommen Eltern dem Kloster St. Thomas sein gesamtes Vermögen; seine literarisch erwähnte Pilgerfahrt nach Jerusalem und die Teilnahme am III. Kreuzzug werden für fiktiv gehalten.

Was aus den anderen Kindern und Verwandten des Ritters Ludwig wurde, ist unbekannt. Die genealogische Wahrscheinlichkeit spricht jedoch dafür, dass das Erbe seiner Deudesfelder Adelsfamilie in der Eifel vielfältig fortlebte.

Verfasser: Gregor Brand

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