Viktor Schily

Jurist und Revolutionär aus Prüm

Am 4. Oktober 1850 meldete „Der Bayerische Landbote“ Ungewöhnliches aus Trier: „Ein seltenes Schauspiel bietet heute unser Marktplatz dem gaffenden und vorübergehenden Publikum: an einem soeben (10 Uhr morgens) errichteten Pfahle ist das Todesurtheil gegen den früheren Advokatanwalt und Landwehr-Lieutenant, Viktor Schily, deutlich auf weißem Papier mit schwarzem Rande geschrieben, angeschlagen, bewacht von zwei Scharfrichtern und Gendarmerie.“ 193_schily_viktor_pruemDas Todesurteil war in Abwesenheit ergangen, denn Anwalt Schily hatte noch rechtzeitig in die Schweiz fliehen können. Nachdem er 1852 ausgewiesen wurde, zog er 1854 nach einem Emigrationsintermezzo in England nach Paris; dort verbrachte er seine letzten Lebensjahrzehnte. Aber was hatte Schily eigentlich Schlimmes verbrochen, dass ihm das preußische Todesurteil eintrug? Viktor Schily war Revolutionär, sogar ein „sehr militanter“, wie sein prominenter Urgroßneffe Otto Schily, Innenminister im Kabinett Schröder (1998-2005), feststellte. Der preußischen Obrigkeit galt er seinerzeit als Deserteur und Hochverräter. Bis heute bekannt ist Viktor Schily vor allem als Anführer der Prümer Zeughausstürmer von 1849 und als Freund von Karl Marx.
Beim Sturm auf das mit Waffen gefüllte Zeughaus in Prüm konnten die Schily-Leute von der klammheimlichen Sympathie vieler Abteistädter ausgehen, die auf die preußische Obrigkeit nicht gut zu sprechen waren. Die Stationierung eines Landwehrbataillons hatte etliche Prümer Familien mit Einquartierungskosten belastet, die sie als kaum erträglich empfanden, zumal das Jahr 1847 wieder ein Hungerjahr in der Eifel gewesen war. Die Zahl der für die lokale Wirtschaft so wichtigen Gerbereien war zwar gestiegen, aber die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Gerbereiarbeiter waren erbärmlich. So berichtete es der aus Prüm stammende Pfarrer Heinrich Josef Paelzer (1842-1924) in seinen von Alois Mayer veröffentlichten Erinnerungen. Andererseits störten sich Konservative an der monarchiefeindlichen und kirchenkritischen Haltung der radikaldemokratischen Revolutionäre. Für Schily war der Angriff auf das Zeughaus nur als Vorspiel einer geplanten allgemeinen bewaffneten Erhebung gedacht. An der Spitze von etwa hundert  Gesinnungsgenossen tauchte er im Morgengrauen des 18. Mai 1849 in Prüm auf. Die  Revolutionäre drangen mit Brachialgewalt in das Zeughaus ein. Einige Landwehrleute leisteten ihnen Widerstand, während andererseits Prümer Bürger Uniformen und Waffen plünderten. Bald rückte ein Trupp alarmierter Ulanen aus Schönecken an und schlug die nur dürftig bewaffneten Schily-Revolutionäre in die Flucht. Die Strafmaßnahmen des preußischen Staates waren hart. Johann Manstein aus Laufeld und drei andere Landwehrmänner, denen man Befehlsverweigerung und Unterstützung der Zeughausstürmer vorwarf, wurden hingerichtet. Einzelne Prümer Familien, aber auch die ganze Stadt hatten noch lange unter juristischen und sozialen Sanktionen zu leiden. Schily selbst flüchtete und organisierte in der Pfalz und in Baden mit wenig Erfolg militärischen Widerstand gegen regierungstreue Truppen.
Beim Zeughaussturm war der 1811 in Prüm geborene Viktor Schily gewissermaßen als Lokalrevolutionär  aufgetreten. Die Schilys waren in Prüm stark verwurzelt und vernetzt. Viktors Vater Carl Caspar (geb. 1770) war Schreiber am Friedensgericht, seine Mutter Margarethe Müller entstammte juristisch hoch qualifizierten Beamtenfamilien. Durch seine Großmutter Maria Sasges (geb. 1744), Tochter von Anna Arimond, war Schily mit angesehenen Bürgerfamilien verwandt, deren Familiennamen bis heute in Prüm wohlbekannt sind. Bei solch gehobenem sozialen Hintergrund verwundert es nicht, dass Viktor an der Bonner Universität Jurisprudenz studierte. Eine typische Juristenkarriere der damalige Zeit zeichnete sich ab: Auskultator 1836-1838, danach Referendar am Landgericht Trier, ab 1843 Advokat in Trier. Neben das Juristische trat immer stärker das Politische. Wie andere Eifler  Akademiker – nicht zuletzt sein politisch sehr aktiver Bruder Leonhard – forderte auch Schily radikale politische Veränderungen. Als Agitator und Radikaldemokrat war er 1848/49 in den Brennpunkten Köln und Frankfurt ebenso zu finden wie an Aufruhrplätzen zwischen Trier und Koblenz.
Nach der gescheiterten Revolution schloss sich Schily in England den Kommunisten um Marx und Engels an. Zahlreiche Briefe dokumentieren die enge Zusammenarbeit dieser Revolutionäre, die sich auch in Schilys Pariser Exilzeit bewährte. In Frankreich arbeitete er als Übersetzer und sozialistischer Journalist. In seinen letzten Lebensjahren musste der 1875 in Paris verstorbene Schily erleben, dass nicht nur das verhasste Hohenzollernreich militärisch gegen Frankreich triumphierte, sondern auch, dass der Aufstand der sozialistischen Pariser Kommune äußerst brutal niedergeschlagen wurde. Noch Generationen nach seinem Tod galt Viktor Schily in seiner wertkonservativen Familie als „schwarzes Schaf“ (Otto Schily), auch wenn heute der Stolz auf den roten Marx-Freund überwiegen dürfte.
Verfasser: Gregor Brand

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen