Walter Büngeler

Pathologe aus Niedermendig

Noch vor 100 Jahren waren grundlegende Fragen der Krebserkrankungen weitestgehend unbekannt. Man rätselte etwa, ob die gefürchtete Krankheit erbliche Ursachen hatte oder ob bestimmte Stoffe für ihre Entstehung verantwortlich sein könnten und fragte sich, was Tumorzellen von anderen unterscheidet. Grundlagenprobleme der Tumorforschung zählten zum Kern des Lebenswerks von Walter Büngeler, der zu den großen deutschen Pathologen des 20. Jahrhunderts gerechnet wird.

Walter Büngeler kam am 30.12.1900 im Osteifler Vulkanort Niedermendig als Sohn des Hotelbesitzers P. J. Büngeler und dessen Ehefrau Klara Schubach zur Welt. In Koblenz besuchte er das Städtische Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium (heute: Eichendorff-Gymnasium), in dem im ersten Weltkriegsmonat 1914 das Geschäftszimmer des Großen Generalstabs untergebracht war. Nach dem Abitur studierte er Medizin in Bonn, dann 1922 ein Semester lang in Rostock und anschließend in Frankfurt am Main. Während seine Promotion noch einem geburtskundlichen Problem („Über Stirnlagen“, 1926) gewidmet war, spezialisierte er sich danach auf Pathologie. Sein wichtigster Lehrmeister wurde Professor Bernhard Fischer-Wasels (1877 – 1941), der ebenfalls ein gebürtiger Eifler war (aus Atsch, heute Teil Stolbergs). Fischer-Wasels gehörte zu den wichtigsten Tumorforschern seiner Zeit; unter seinem Einfluss nahm sich Büngeler besonders der Geschwulstforschung an. Die beiden Mediziner führten sowohl einzeln als auch zusammen grundlegende Studien zum Verständnis von Geschwulstbildungen durch. 1929 habilitierte sich Büngeler bei Fischer-Wasels mit der Schrift „Tierexperimentelle und zellphysiologische Untersuchungen zur Frage der allgemeinen Geschwulstdisposition“. Da beide vermuteten, dass bestimmte Substanzen zu Krebs und Leukämie führen konnten, versuchten sie, solche Stoffe und ihre Wirkung nachzuweisen. Büngeler gelang es erstmalig, bei Mäusen experimentell Leukämie durch Indol hervorzurufen, was neue Perspektiven auf die Krankheitsentstehung eröffnete. Da seit den Forschungen Otto Warburgs (1883 – 1970) bekannt war, dass die Zellatmung von Tumorzellen sich von denen anderer Zellen unterscheidet, untersuchten Fischer-Wasels und Büngeler die Sauerstoffaufnahme des Organismus, etwa bei Atmung verschiedener Gasgemische. Büngeler entwickelte ein effektives Verfahren zur Bestimmung des Sauerstoffverbrauchs kleiner Tiere, was neue experimentelle Erkenntnisse eröffnete.

1934 wurde der bisherige Privatdozent Dr. Büngeler Gründungsdekan der Medizinischen Akademie im Freistaat Danzig. Nach Angaben des Medizinhistorikers Karl-Werner Ratschko weigerte sich Büngeler während seiner Danziger Zeit, den Tod eines Mannes offiziell als Folge eines gegen die NSDAP gerichteten Angriffs zu erklären. Büngeler verlor daraufhin seine seit 1933 bestehende Parteimitgliedschaft und wurde fortan von NS-Funktionären kritisch beobachtet.

Auch aufgrund solcher Erfahrungen folgte Büngeler 1936 einem Ruf nach Brasilien. In Sao Paulo wurde er Professor am Lehrstuhl für Pathologie. In Brasilien gelang ihm, bei der Bekämpfung dort grassierender Krankheiten (z. B. Lepra, Blastomykose) wertvolle Fortschritte zu erzielen; Lepraforschung und Infektionskrankheiten wurden zum Schwerpunkt seiner brasilianischen Jahre. Zudem wollte er den Forschungsaustausch zwischen Deutschland und Brasilien intensivieren. Nicht zuletzt aufgrund seiner Initiative kamen brasilianische Mediziner nach Europa, und deutsche Ärzte sammelten Erfahrungen in Südamerika. Dieser fruchtbare Austausch endete, als Brasilien 1942 in den Krieg gegen Deutschland eintrat. Büngeler verließ daraufhin Südamerika und wurde am 01. August 1942 in Kiel trotz Protests der NSDAP ordentlicher Professor für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie. An der Ostsee blieb er nach Kriegsende noch über ein Jahrzehnt, ehe er 1956 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der LMU München annahm. Dort baute Büngeler die ohnehin auf hohem Niveau stehende Pathologieforschung weiter aus und ließ eine elektronenmikroskopische und eine neuropathologische Abteilung einrichten. In München festigte sich sein Ruf als einer der Top-Krebsforscher und als engagierter Vertreter der Schulmedizin. Büngeler hielt beispielsweise die alternative Krebstherapie des populären Dr. Josef Issels (1907 – 1998) für Scharlatanerie.

Wenn Büngeler auch primär als Kapazität der Geschwulstforschung bekannt war, so erstreckten sich seine Forschungen und Publikationen doch auch auf andere Gebiete. Dazu gehörten insbesondere die Pathologie des Blutes und der blutbildenden Organe; im Lehrbuch der speziellen pathologischen Anatomie verfasste er den entsprechenden Hauptbeitrag. Ausdruck von Büngelers Ansehen war seine Wahl zum Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft; bei der Heidelberger Tagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie 1966 amtierte er als Vorsitzender. Bedeutende Pathologen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Büngeler-Schüler. Der 1970 emeritierte Büngeler wurde für seine Forschungen vielfach geehrt; 1985 erhielt er mit der Rudolf-Virchow-Medaille die höchste Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie. Der international geschätzte Pathologe starb am Neujahrstag 1987 in München und wurde auf dem dortigen Westfriedhof beigesetzt.

Verfasser: Gregor Brand

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