Wilhelm Matthießen

Schriftsteller aus Gemünd

Der Schriftsteller Wilhelm Matthießen gehörte über Jahrzehnte zu den meistgelesenen deutschen Kinder- und Jugendbuchautoren. Aber diese Seite seines literarischen Schaffens war nur ein Teil eines vielfältigen Werks von „atemberaubendem Gesamtumfang“ (Florian Krobb, 2013).

Matthießen wurde am 8.8.1891 in Gemünd (heute Teil Schleidens) als Sohn eines Gerichtsschreibers geboren, wuchs aber ab 1899 in Düsseldorf auf. Nach Abitur und Militärdienst studierte er in Bonn und Berlin Philosophie und Theologie. 1917 promovierte er mit einer Dissertation über „Die Form des religiösen Verhaltens bei Theophrast von Hohenheim, gen. Paracelsus“. Der Arzt und Naturphilosoph Paracelsus (ca. 1493 – 1546) blieb danach noch einige Jahre lang im Fokus seiner Arbeit. Matthießen, der bereits seit 1915 mit Karl Sudhoff (1853 – 1938), dem führenden Medizinhistoriker seiner Zeit, zusammenarbeitete, gab 1923 einen Band mit den theologisch-religionsphilosophischen Schriften von Paracelsus heraus. Neben dieser wissenschaftlichen Paracelsus-Arbeit hatte er allerdings schon 1918 begonnen, Märchenerzählungen zu veröffentlichen, zuerst in der Zeitschrift „Der Zwiebelfisch“, ab 1919 auch in Buchform. In der Absicht, dort seinen Lebensunterhalt als freier Schriftsteller zu bestreiten, zog er nach München. Viele seiner – oft buchkünstlerisch gestalteten – Märchen- und Kinderbücher wurden gern gelesen und vorgelesen, so etwa das Märchenbuch „Das alte Haus“ (1923) oder die 262 Seiten lange Märchengeschichte „Die Katzenburg“ (1928), die beide im Herder Verlag erschienen. Die von dem Eifler Maler Johannes Thiel illustrierte „Katzenburg“-Erzählung spielt im Kottenforst bei Bad Godesberg, wohin Matthießen mit seiner Familie Mitte der 20er Jahre umgezogen war: „Es liegt am Rhein ein tiefer Wald, ein wilder Wald. Das ist der Kottenforst. Tannen sind darin, die reichen bis in die Wolken, und Buchen, so schön wie die Säulen im Kölner Dom.“ Ebenfalls beim Herder Verlag, mit dessen Verlegerfamilie er befreundet war, erschienen die in fernen Ländern spielenden Abenteuergeschichten über den „Herrn mit den hundert Augen“. Andere Verlage, mit denen Matthießen gern zusammenarbeitete, waren der des heimatbewussten Erzgebirglers Erich Matthes oder der angesehene Kölner Verlag von Hermann Schaffstein. Zu den Autoren, die Matthießen selbst besonders schätzte, gehörte Karl May, in dessen Geist er seine „Abenteuer des Nemsi Bey“ verfasste, und der Dichterphilosoph Erwin Guido Kolbenheyer. Matthießens erfolgreichstes Jugendbuch wurde „Das Rote U“ – eine „Jungensgeschichte“, die im Lauf der Jahre eine Auflage von rund 200000 Exemplaren erreichte und neben Kästners „Emil und die Detektive“ zu den meistgelesenen Kinderkrimis der 1930er Jahre gehörte. Matthießens Schulgeschichte von vier Jungen und einem schlauen Mädchen spielt in der authentisch geschilderten Altstadt von Düsseldorf und „wird in einem spannenden, realistischen Ton erzählt“ (Birte Tost, 2005). Tost stimmt der Einschätzung der Professorin Gina Weinkauff zu, dass Matthießen „die neue jugendliterarische Gattung der Kinderdetektivgeschichte […] viel konsequenter ausgeformt und gestaltet habe“ als Kästner. Richtete sich „Das Rote U“ primär an ältere Kinder, so umfassen andere Werke von Matthießen sämtliche Lesealter und Lebensstufen bis zur Erwachsenenzeit. Trotz seiner vielen Kinder- und Jugendbücher wollte Matthießen nicht nur als Jugendschriftsteller wahrgenommen werden – und sein Lebenswerk geht in der Tat deutlich darüber hinaus. So veröffentlichte er unter anderem einen großen historischen Roman über Joseph Görres (1928), das völkische Schauspiel „Heilige Erde“ (1933) sowie den kulturkritischen „Roman aus dem bolschewistischen Rußland der Nachkriegszeit“ mit dem Titel „Die Augen der Jelena“ (1935).

Matthießen empfand besondere Zuneigung für die germanische Sagen- und Mythenwelt: „Immer und immer wieder ist es das Nordische gewesen, was mich bestimmte. Der Norden mit Sturm und Regen und Nebel […] Halbdunkel der Wälder, Ernst der Heide, Nebel und der Dunst des ahnungsvollen Herbstes“. In den 1930er Jahren wurde der einstige katholische Theologiestudent zum entschiedenen Feind von Judentum und Christentum. Er sympathisierte mit dem von General Ludendorff und dessen Frau Mathilde gegründeten heidnischen „Bund für deutsche Gotterkenntnis“ und verfasste Bücher, die mit schärfster Polemik das Judentum und die katholische Kirche angriffen. Mit zahlreichen Hinweisen auf das Alte Testament und die Kirchengeschichte versuchte er zu beweisen, dass „Völkervernichtung“ Ziel dieser Religionen sei. Obwohl das Verhältnis der Ludendorffianer zur NSDAP konfliktgeladen war, wurde Matthießen um 1939 vom Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß als Bibliothekar nach München berufen und von Reichsleiter Martin Bormann mit der Leitung einer NS-Bibliothek in Steinach beauftragt. In dieser Funktion reiste er im Krieg durch Europa: „Ich konnte kaufen, was ich wollte. Auf Auktionen jeden andern überbieten. Bormann zahlte alles.“ Angesichts seiner NS-Vergangenheit war es erstaunlich, dass er nach 1945 weiterhin publizieren konnte, allerdings nur noch politikfreie Kinder- und Jugendliteratur; umfangreiche Romanmanuskripte sind dagegen bis heute unveröffentlicht. Wilhelm Matthießen verstarb am 26.11.1965 in Bogen/Niederbayern.

Verfasser: Gregor Brand

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