Zur Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen

Ein Gedankenspiel vorne weg: Stellen wir uns einen Augenblick mal vor, die AfD-Fraktion im thüringischen Landtag hätte spaßeshalber Bodo Ramelow ins Amt des Ministerpräsidenten gewählt, anstelle des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich. Würde man dann auch die hysterischen Schreie der allermeisten Politik- und Medienvertreter in unserem Land vernehmen: „Dammbruch!“ „Tabubruch!“  „unverzeihlicher Fehler!“ oder gar „Skandal!“ und „schwerer Schaden für die Demokratie!“ ? Würde man dann auch allenthalben ultimative Rücktrittsforderungen erheben und sofortige Neuwahlen als den Stein der Weisen erachten? Wie gesagt: Ein Gedankenspiel.

Was tatsächlich in Erfurt passiert ist, hat verschiedene Facetten, die sich u.a. aus der besonderen Lage der ostdeutschen Länder erklären lassen und darüber hinaus ein bezeichnendes Licht auf die politische Landschaft der sich dem Ende neigenden Merkel-Ära wirft.

In Ostdeutschland ist die Erinnerung an die DDR-Diktatur und die Rolle der SED, der Vorgängerpartei der Partei „Die Linke“, überwiegend noch sehr präsent und eine Zusammenarbeit mit ehemaligen Vertretern und aktuellen Sympathisanten des einstigen Stasi-Spitzel-Unrechtsstaates für die bürgerlichen Parteien CDU und FDP ausgeschlossen bzw. nur sehr schwer zu vertreten, Grüne und SPD sind da aus programmatisch-affinen Gründen weniger empfindlich. In den westlichen Bundesländern ist der Stellenwert der gehäuteten SED/PDS/Die Linke ein völlig anderer, weil die meisten Anhänger des linken Spektrums (SPD und Grüne) im Sinne einer üblen Geschichtsverklärung der DDR-Vergangenheit den vermeintlich „demokratischen Sozialismus“ bereitwillig in ihre Arme aufgenommen und dadurch hoffähig gemacht haben. Die überwiegend desaströsen Bilanzen dieser Verbindungen, wie sie zum Beispiel in Berlin zu besichtigen sind, seien hier nur am Rande erwähnt.

Seit dem Beginn der Kanzlerschaft Angela Merkels im Jahre 2005 hat sich bis heute aus der ehemals bürgerlich-konservativen CDU Adenauers und Kohls zunehmend eine reine Merkel-Machterhaltungstruppe entwickelt, die viele originär-konservative Positionen dem vermeintlichen Zeitgeist schuldend (z.B. in der Familienpolitik, der Energie- und Umweltpolitik, dem Bereich der Inneren Sicherheit, der Verteidigungspolitik) abgeschüttelt oder vernachlässigt hat. Besonders fatal ist in diesem Zusammenhang die in weiten Teilen bis heute anhaltende illegale Migrationspolitik zu nennen, die im September 2015 einsetzte, die die deutsche Gesellschaft extremst polarisiert und sie – trotz besten Willens und ehrenamtlichem Eifer der Menschen – in ihrer Bewältigung überfordert.

Alle diese Aspekte und zuvorderst diese katastrophale Asylpolitik sind es, die die Menschen auf der Suche nach konservativen Orientierungspunkten (ob vermeintlich oder nicht) der sich der zunehmend nationalistisch und reaktionär gebärdenden Rechtspartei der AfD zuführen. Und das nicht nur im Osten mit durchschnittlich ca. 20 % und mehr Stimmenanteilen, sondern auch im Westen mit ca. 12 % in allen Landtagen und mit 12,6 Prozent im Bundestag.

Man muss kein Prophet oder Politikwissenschaftler sein, um das Anwachsen der AfD in den deutschen Parlamenten aus diesen genannten Gründen zu erklären. Anstatt aber nun sich mit den Vertretern der AfD im parlamentarischen Diskurs auseinanderzusetzen und vielleicht bestimmte Dinge zu revidieren, um verlorene Wähler zurückzugewinnen, verfolgt man lieber eine geradezu kindische Politik der Ausgrenzung, die den so Stigmatisierten immer mehr Wähler zutreibt. Ein beredtes Beispiel ist hier die Posse um die Besetzung des Bundestagsvizepräsidenten.

Man kann zu der AfD stehen, wie man will, und es gibt gute Gründe, sie besonders wegen des rassistisch-völkischen Flügels nicht zu wählen, aber eines ist festzuhalten: Die Partei ist wie die CDU/CSU, die SPD, die Grünen, die FDP und die Linke durch demokratische Wahl in die jeweiligen Parlamente gekommen und solange sie vom Bundesverfassungsgericht nicht verboten wird, ist sie eine demokratische Partei, wenn viele das auch nicht wahrhaben wollen, und man kann nicht Millionen von Wählern, die dieser Partei ihre Stimme gegeben haben, weiterhin ignorieren.

Gewiss erfordert die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner mehr als das stereotype Beschwören des Antifaschismus, des Kampfes gegen Rechts, des Haltung-Zeigens und des Blumenstrauß-vor-die-Füße-Werfens. Hier ist intellektuelles Vermögen gefragt, das eine effektive, auf klugen Argumenten beruhende politische Auseinandersetzung möglich macht.

Leider geht aber gerade diese Fähigkeit im derzeitigen politischen Diskurs immer mehr unter zugunsten einer Politik der moralischen Überhöhung, die den vermeintlichen oder tatsächlichen politischen Gegner, auch den andersdenkenden Mitbürgern, verächtlich macht und ihn schnell in eine bestimmte, meist rechte Ecke bugsiert.

Zum Schluss – und damit komme ich wieder zur Ministerpräsidentenwahl in Erfurt am 5. Februar zurück – ist die Frage durchaus angebracht, ob es klug war, als Vorsitzender einer Mini-Fraktion, die mit Ach und Krach (mit 5,006%) in den Landtag gerutscht ist, überhaupt das Amt des Ministerpräsidenten anzustreben. Ω

Horst Becker,  Arzfeld

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