DreiländerRegion gegen Tihange

StädteRegion Aachen bringt in Brüssel neue Argumente vor dem Gericht der 1. Instanz ein und prüft ein Vorgehen gegen Brennelemente-Lieferungen. Staatsrat lehnt formelle Klage wegen Fristablauf ab.

DreiländerRegion/StädteRegion Aachen. Die juristischen Vertreter der StädteRegion Aachen haben vor dem belgischen Gericht der ersten Instanz neue Fakten in die „Betroffenheitsklage“ eingebracht, die für deren rechtliche Beurteilung von erheblicher Bedeutung sind.

Es geht um Bröckelbeton, fehlende Baupläne und INES-1-Einstufungen durch die belgische Atomaufsichtsbehörde FANC. Zeitgleich lässt der Vertreter der Städteregion Aachen die Erfolgsaussichten eines verwaltungsgerichtlichen Vorgehens gegen die Ausfuhr von Brennstäben zur Verwendung in Tihange 2 prüfen. Hierzu wurde kürzlich ein Gespräch mit dem zuständigen Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Jochen Flasbarth geführt. Die formelle Klage vor dem Staatsrat wurde inzwischen abgewiesen. Nach Ansicht des Gerichts hätte die StädteRegion früher Klage einreichen müssen.

Für den Vertreter der Städteregion war es keine Überraschung, dass der Staatsrat die erste Klage abgewiesen hat.  Schon bei der öffentlichen Verhandlung Anfang November soll das Gericht ausschließlich über die Frage diskutiert haben, wann ein Sachverhalt als hinreichend bekannt anzunehmen ist. Von diesem Tag an bleiben nach belgischem Recht 60 Tage Zeit, um Klage einzureichen. Demnach dürfte nach Meinung des StädteRegionsvertreter die Frist erst mit dem Tag beginnen, an dem der verfassungsrechtlich allein zuständige Städteregionstag die Klageentscheidung getroffen hat, also am 10. Dezember 2015, frühestens jedoch an dem Tag, an dem die Fraktionsvorsitzenden die Resolution eingereicht haben. Das war am 07. Dezember. Das Gericht soll hingegen Veröffentlichungen des Betreibers, die bereits im November 2015 in den Medien waren, zitiert haben. Der Staatsrat hatte eine Verfristung angenommen und wies die Klage als unzulässig zurück. Basierend auf dieser rein formalen Entscheidung musste sich der Staatsrat nicht mit den Fehlern der Genehmigung und den Risiken des Reaktors Tihange 2 befassen. Nach Auffassung der StädteRegion Aachen und ihrer Partner ist diese Entscheidung nicht richtig. Stellt man auf die Kenntnis des Städteregionsrates ab, wurde die Klage rechtzeitig eingereicht. Gegen dieses Urteil vor den belgischen „Bundesgerichtshof“ (Cour de Cassation) zu ziehen, halten allerdings die Juristen für aussichtslos.

Trotzdem sei man seitens der StädteRegion überzeugt, dass man mit dieser ersten Klage sehr viel erreicht hätte, denn mit keinem anderen Mittel hätten man international eine derart hohe Aufmerksamkeit erzielt! Die Klage hat nun Türen in Brüssel, Berlin und Luxemburg geöffnet. Man habe es geschafft, eine Allianz über zwei Bundesländer, drei Staaten und weit über 100 Kommunen zu schmieden, für die man sehr dankbar sei, heißt es. Die ganze Welt schaut sehr aufmerksam und kritisch auf die belgischen Reaktoren Tihange 2 und Doel 3.

Umso wichtiger ist es dem Vertreter der StädteRegion, dass in dem laufenden „Verfahren der Betroffenheit“ vor dem Gericht der ersten Instanz neue Argumente eingebracht werden konnten. Bröckelbeton, fehlende Baupläne und INES-1-Einstufungen durch die Aufsichtsbehörde FANC sind dabei die Kernthemen. Erst kürzlich waren in den Sicherheitsbunkern einiger Reaktoren der Abbau von Beton sowie Anomalien in den Verstärkungen festgestellt worden. Der Betonabbau resultiert aus der spezifischen Funktion der Bunker. Deren Räume dienen Überdrucksystemen dazu, Dampf ablassen zu können. Das Ausmaß der Betonproblematik lässt jedoch erhebliche Zweifel an der Fähigkeit der Gebäude aufkommen, dass diese außergewöhnlichen Ereignissen, insbesondere Flugzeugabstürzen, den nötigen Widerstand entgegensetzen können. Die FANC selbst hat das erstmals mit einer INES-Einstufung bewertet. INES ist die internationale Bewertungsskala für nukleare und radiologische Ereignisse. Darüber hinaus wurde bekannt, dass zusätzlich zur Betonfäule „Anomalien“ festgestellt wurden „in Bezug auf die Positionierung der (Stahl-)Verstärkung, die seit dem Bau der Bunker vorhanden war“, führt Rechtsanwalt Tim Vermeir von der belgischen Kanzlei aus.

Frei übersetzt, hat die FANC entschieden, dass der Bunker von Tihange 2 nicht nach den genehmigten Bauplänen erfolgte. Das sei ein weiterer Grund, weswegen Tihange 2 im November 2015 nicht wieder hätte in Betrieb gehen dürfen! Auch wenn sich das Verfahren durch Einbringung neuer Argumente verzögert, dürfen diese Fakten nicht unter den Tisch gekehrt werden! In diesem Verfahren klagt die StädteRegion zusammen mit 2 Städten, 2 Unternehmen und 9 natürlichen Personen – darunter die Vorsitzenden der im Städteregionstag vertreten Fraktionen.

Derzeit lässt der Vertreter der StädteRegion parallel die Erfolgsaussichten eines verwaltungsgerichtlichen Vorgehens gegen die Ausfuhr von Brennstäben zur Verwendung in Tihange 2 prüfen. Den entsprechenden Beschluss hatte der Städteregionstag bereits am 5. Juli 2018 einstimmig gefasst. Betreiber der Brennstäbe-Produktionsanlage in Lingen ist die Advanced Nuclear Fuels GmbH. Sie liefert die Kernbrennstäbe für den Betrieb von Tihange 2 an Electrabel. Die Genehmigung dafür erteilt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) im Auftrag des Bundesumweltministeriums.

Aktuell wird die Zulässigkeit und Begründetheit einer Klage gegen die erteilten Ausfuhrgenehmigungen geprüft. Sollte die Klage Aussicht auf Erfolg haben, will man unverzüglich die nächsten Schritte einleiten. Auch der neue Vorsitzende der StädteRegion Aachen Dr. Tim Grüttemeier wird  sich engagiert für die Schließung von Tihange 2 einsetzen.

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