Das Sommer-Interview, Teil 2

Prüm. Wo er aufwuchs, wie seine Leidenschaft für die Literatur begann, dass er über Jahre fast zwanghaft tütenweise Bücher aufkaufte, dass er über die neuesten Kommunikationstechniken Kontakt zu den Größen der deutschsprachigen Literatur hält, das hat Dr. Josef Zierden uns im ersten Teil unseres Sommer-Interviews erzählt. Heute erfahren wir weitere spannende Details aus der Geschichte des Eifel Literatur Festivals und seines Initiators.

Die Anfänge des Eifel Literatur Festivals finden wir im Jahre 1994, und es hieß vom Start weg so, obwohl es zunächst lediglich eine Vorstellung des von Zierden selbst verfassten Buches „Die Eifel in der Literatur“ sein sollte. Umrahmt von Lesungen, organisiert gemeinsam mit dem Geschichtsverein Prümer Land, wurde dem Gymnasiallehrer sofort klar: Hier steckt Potential drin! „Ich habe mir den Namen unmittelbar nach der ersten Auflage schützen lassen.“

Seitdem wiederholt er das Fest des gedruckten Wortes alle zwei Jahre. Eine nette Parallelentwicklung: Zierden hatte irgendwo in 1993 oder 1994 Jacques Berndorf kennengelernt, der mit seinen boomenden Eifel-Krimis, genau wie Zierden selbst, Menschen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum Lust auf unsere Region macht. Berndorf war der erste, der eine Lesung bei Zierden bestritt. Und der, wie „das ganze liberale Dichtervölkchen“, dessen Hochachtung genießt.

Gewichtige Autoren

Anfangs war das Festival vor allem gedacht als literarische Bestandsaufnahme zur Eifel, mit Autoren, die in der Eifel wohnen oder doch über die Eifel geschrieben haben. Dies ist keine Langzeitperspektive; es gibt nicht jedes Jahr den großen Eifelroman. Als Zierden ab 1996 Direktor der Volkshochschule Trier war und mit Bertelsmann zusammen die Trierer Literaturtage schuf, mit vielen großen Namen, brauchte er beim Festival eine neue Dimension: gewichtigere Autoren, bundesweit bekannt. „Diese Dimension begann 2001 – etwa mit Mario Adorf, Siegfried Lenz und Martin Walser.“

Diese Begegnungen mit den „Schwergewichten“ der deutschen Literatur bezeichnet der Mann aus Prüm als „überlebenswichtig“. Solche, die wirklich etwas zu sagen haben. Solche, die die Republik prägen. Solche, die sich trotz grandioser Erfolge menschlich nicht verformt haben. Zierden: „Das Heer der Autorennamen, die ich hier nennen müsste, ist zu groß.“ So nennen denn wir einige der großen Namen, die das Festival der Eifel schon beschert hat, teilweise zum wiederholten Male. Nichts könnte deutlicher für die hohe Qualität der Veranstaltungen sprechen als diese Damen und Herren: Siegfried Lenz, Maximilian Schell, Walter Kempowski, Elke Heidenreich, Peter Bichsel, Heiner Geißler, jetzt Wladimir Kaminer oder Fritz Pleitgen, nicht zu vergessen die Literaturnobelpreis-Trägerin aus 2009, Herta Müller, die Zierden in doppelter Hinsicht, als Schriftstellerin und als Mensch, schätzt wie keine andere.    

Unterschiedlichste Präsentationsformen

Seine persönliche Meinung zu der in Rumänien geborenen Deutschen: „Eine Herta Müller würde niemals veröffentlichen, was nicht Qualität hat. Die weiß den Papierkorb zu nutzen, den manche Autoren wohl aus ihrem Arbeitszimmer verbannt haben.“ Ganz anders Günter Grass, den Zierden über Jahre hartnäckig in die Eifel bekommen wollte, letztendlich ohne Erfolg. Dessen literarische Qualität vermisst er schon lange, nach dem Outing seiner SS-Vergangenheit fehlt ihm inzwischen auch seine moralische. „Wem hat Grass nicht alles wortstark seine Nazi-Vergangenheit vorgehalten, gegen die Begegnung Kohl-Reagan vor 25 Jahre auf dem Friedhof in Bitburg gewettert, weil dort junge SS-Soldaten lagen. Er hätte selber unter den Toten sein können…“

Auf Mätzchen in jedweder Form kann das Eifel Literatur Festival verzichten. Das gilt auch für „verkrampft originelle Lese-Locations, Literatur als billiges Beiwerk zu kulinarischen Mehrgangs-Events“. Obwohl sich auch bei Zierdens Veranstaltungen eine erfrischende Abwechslung bei der Interpretation des geschriebenen Wortes erkennen lässt, eine Entwicklung hin zu Vielfalt und Einfallsreichtum. So durfte Katja Riemann kürzlich lesend, singend, flüsternd, schreiend und spielend mit der ganzen Bandbreite ihres Könnens bezaubern.

„Die Präsentationsformen sind abhängig von den Autoren und ihrem Können: der eine erzählt frei  oder spricht frei, der andere setzt voll auf spektakuläre Multimedia-Shows, der nächste vertraut schlicht dem geschriebenen Wort und liest einfach vor. Wenn der Autor eindrucksvoll genug ist und auch sein Text, kommt er in jeder Präsentationsform ´rüber` und muss sich nicht künstlich verbiegen.“

70.000 Zuhörer, über 120 Autoren, Schriftwechsel, Terminabsprachen, Pressekonferenzen, Sponsorengelder, Organisieren und Umorganisieren zu jeder Tages- und Nachtzeit: Wie viel Zeit der immerhin ja berufstätige Lehrer in das Festival steckt, mag er nicht hochrechnen. „Andere gehen mit ihrem Hund spazieren, gehen in die Muckibude, verreisen – ich begebe mich auf Abenteuerreise durch die Welt der Gegenwartsliteratur. Was wie Arbeit aussieht, ist doch überwiegend Vergnügen.“

Literaturmissionar aus Prüm

Hegt der Motor des Eifel Literatur Festivals, das laut „buchjournal“ 1 / 2010 zu den zwölf wichtigsten Literaturevents in Deutschland zählt, die Hoffnung auf neue Leserschichten? Glaubt er, Nicht-Leser ans Buch heranführen zu können? „Wenn sich Menschen für 90 Festivalminuten auf Autoren einlassen, auf Literatur, auf die Welt der Phantasie, ist schon viel gewonnen. Wenn dann noch weltverändernde oder persönlichkeitsverändernde Impulse wenigstens ansatzweise wirken, okay. Aber Veränderungen brauchen lange Zeit, da geht keiner nach ein paar Lesungsminuten als anderer Mensch raus.“ 

Als Pädagoge und Literaturmissionar hoffe er gleichwohl auf die Zauberkraft der Literatur. Das könnte gelingen, wie die Geschichte nach einer Erzählstunde von Rafik Schami beweist. Da kam eine Frau zu ihm und gestand: „Ich habe so viele Sorgen. Heute habe ich endlich mal für zwei Stunden abschalten, entspannen können.“ Die Frau strahlte, Rafik Schami strahlte, und mit ihnen strahlte Dr. Zierden. Sein Glaube an „die besondere Sinnlichkeit des gedruckten Wortes“ festigt sich nach solchen Erlebnissen. Übrigens darf das gedruckte Wort inzwischen auch für den Bücherfreak elektronisch daherkommen. Das iBook hat ihn überzeugt. Alles kann rasch gefunden, markiert und wieder verändert werden.

Ob nun in papierner oder in elektronischer Form: Welches Buch empfiehlt der Mann, der in seinem Leben tausende, vielleicht abertausende gelesen hat? Da schließen sich die Kreise zwischen den verschiedenen Aspekten der Persönlichkeit des Dr. Josef Zierden. Die Antwort ist der „Woyzeck“ von Georg Büchner, der junge, chancenlose Underdog, der Held eines Sozialdramas. Büchner schafft es, meisterlich die entwürdigenden Abhängigkeiten eines einfachen Mannes darzustellen, dem alle „Hohen Tiere“ der Gesellschaft seine Würde nehmen wollen. Dem am Ende noch der letzte Lebenssinn genommen wird, seine Frau und sein Kind.

„Indirekt ein flammendes Plädoyer für soziale Gerechtigkeit und Humanität, das mich als Arbeiterkind immer neu anspricht. Ich finde es unfassbar, dass immer noch die soziale Herkunft so stark über Schulchancen entscheidet. Dass immer noch zu viele nicht die Förderung finden, die sie eigentlich verdienen.“

Es gibt viel zu tun. Zierden ist einer, der es anpackt.

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