Interview: Das Thema „Fusion“ aus Sicht von Bürgermeister Christoph Holkenbrink

Der Ministerrat des Landes hat einer Fusion der beiden Verbandsgemeinden Manderscheid und Wittlich-Land zugestimmt. Wir sprachen mit dem Verbandsbürgermeistholkenbrink_32_13er Wittlich-Land, Christoph Holkenbrink, über die Auswirkungen auf den Gebietsstand.

EAZ: Als Gründe für die Reform nennt die Landesregierung vor allem die mit dem demografischen Wandel verbundenen Herausforderungen. Gibt es in der Verbandsgemeinde Wittlich-Land überhaupt ein demografisches Problem?
Holkenbrink: Die Einwohnerentwicklung war bis zum Jahr 2008 mit 22.000 Einwohnern als Höchststand steigend. Seit dieser Zeit ist eine leichte Bevölkerungsabnahme festzustellen.

EAZ: „Muss-Ehen muss es nicht geben“, werden Sie die Gelegenheit nutzen, selbst zu gestalten, bevor von einem fernen Schreibtisch aus über die Zukunft der Verbandsgemeinde Wittlich-Land bestimmt wird?
Holkenbrink: Eine Gestaltungschance wurde in der 1. Jahreshälfte 2012 in sechs Verhandlungsrunden zusammen mit Vertretern der Verbandsgemeinde Manderscheid wahrgenommen. Der damals
zwischen den beiden Delegationen ausgehandelte Vertrag fand zwar in den beiden Haupt- und Finanzausschüssen sowie im Verbandsgemeinderat von Wittlich-Land,
nicht jedoch im Verbandsgemeinderat Manderscheid, eine Zustimmung. Die effektive Gestaltungsmöglichkeit liegt nun nach Ablauf der Freiwilligkeitsphase in der Hand der Landesregierung und letztendlich in der Hand unseres Souveräns, des Landtags.

EAZ: Wo sehen Sie den erheblichen Unterschied der Strukturen der beiden Verbandsgemeinden Manderscheid und Wittlich-Land?
Holkenbrink: Mit 93 Einwohner pro qkm in Wittlich-Land und 46 Einwohner pro qkm in der Verbandsgemeinde Manderscheid ist die Siedlungsdichte ein deutliches Unterscheidungsmerkmal. Ebenso gilt dies für die absehbare Bevölkerungsentwicklung auf der Basis der zweiten kleinenräumigen Bevölkerungsberechnung bis 2020. Mit dem Jahr 2006 als Basis ist für Manderscheid mit einem Bevölkerungsrückgang um 2,3 % zu rechnen in Wittlich-Land um 1,4 %. Die dritte kleinräumige Bevölkerungsberechnung mit dem Basisjahr 2010 kommt für die Verbandsgemeinde Manderscheid bis zum Jahr 2030 zu einem Bevölkerungsrückgang um 12,9 %, in Wittlich-Land zu einen solchen von 2,2 %.
Ein Blick auf die Ausgabenstruktur der beiden Verbandsgemeindehaushalte zeigt, dass die Verbandsgemeinde Manderscheid für Tourismus deutlich höhere  Aufwendungen erbringt als Wittlich-Land. In Wittlich-Land ist allerdings der Tourismus entsprechend der allgemeinen Zuständigkeitsregelung der Gemeindeordnung grundsätzlich Angelegenheit der Ortsgemeinden. Im wesentlichen finanziert die Verbandsgemeinde zusammen mit der Stadt Wittlich und den Tourismusunternehmen die in Wittlich betriebene Touristinformation im Rahmen des Vereins Moseleifeltouristik e.V., die Aufwendungen für die überregional tätige Moselland Tourismus GmbH und die Eifel Tourismus GmbH sowie Marketingkosten für den Eifelsteig.

EAZ: Sollten die gewachsenen Strukturen vor Ort aber nicht doch Ernst genommen werden, um gemeinsam Zukunft zu gestalten?
Holkenbrink: Für den Fall einer gesetzlichen Eingliederung der Verbandsgemeinde Manderscheid in die Verbandsgemeinde Wittlich-Land wäre sicherlich zwischen den Ortsgemeinden und der Verbandsgemeinde in ihrer dann neuen Gestalt über die Organisation und den Förderumfang des Tourismus zu diskutieren. Die dann zu treffenden Entscheidungen obliegen den gewählten Gremien.

EAZ: Aber trotzdem müsste jede der beiden Verbandsgemeinden ein Stück ihrer Identität
aufgeben?
Holkenbrink: Identität ist ein großes Wort. Bei Personen kann ich mir darunter etwas vorstellen, aber bei einer Verbandsgemeinde? Auf dem Gebiet von Wittlich-Land war im Zeitraum von 1815 bis 1970 die Veränderung des Zuschnitts der vormaligen Amtsverwaltungen im Rhythmus von einigen Jahrzehnten das Konstante. Technische, wirtschaftliche und Bevölkerungsentwicklung waren die maßgeblichen Gründe für diese Änderungen. Wenn es um wirtschaftliche Strukturen geht, sollte man den Begriff „Identität“ niedrig hängen. Identität in diesem Umfeld führt zur Zementierung von Vorstellungen in den Köpfen sowie zur Konservierung von Strukturen. Im Bereich der Wirtschaft ist Zementierung schädlich. Wirtschaft muss flexibel und innovativ sein. Also wenn man schon von Identität oder etwas Prägendem in der Verbandsgemeinde spricht, dann denke ich an die Art und Weise der Entscheidungsfindung und an den Umgang in unseren politischen Gremien. Der dabei praktizierte Stil ist fair, an der Sache orientiert und konstruktiv, auch bei unterschiedlichen Ansichten. Dies sollte auch in Zukunft in einem möglichen größeren Rahmen so sein.

EAZ: Manderscheid hat seine Zukunftsstrategie völlig in Richtung Tourismus ausgelegt, dieses Thema wird in der VG Wittlich-Land eher auf Sparflamme geköchelt. Was bedeutet die Fusion für den Tourismusbereich?
Holkenbrink: Ich halte die Unterstellung in Ihrer Frage für unzutreffend. Soweit mir von außen die Verbandsgemeinde Manderscheid bekannt ist, gibt es gut funktionierende und bei Bedarf auch ausbaufähige Gewerbegebiete. Es kommt wohl auch nicht von ungefähr, dass die Steuerkraft pro Einwohner in der Verbandsgemeinde Manderscheid höher liegt als in der Verbandsgemeinde Wittlich-Land. Dazu tragen mit Sicherheit die Gewerbebetriebe ganz maßgeblich bei. Im übrigen sind in der VG Manderscheid bei weitem nicht alle Ortsgemeinden auf den Tourismus fokussiert. Unstreitig hat insgesamt der Tourismus in der VG Manderscheid einschließlich seines Gesundheitsbereiches eine größere Bedeutung als in Wittlich-Land. Mit Blick auf die Zukunft wird jedoch niemand touristische Unternehmer gleich in welchem Bereich daran hindern, die ansprechenden landschaftlichen und kulturhistorischen Rahmenbedingungen zu nutzen,  sich auf diesem Feld verstärkt zu engagieren oder auch ganz neu zu starten. Aus  Verbandsgemeindeperspektive wird allerdings entscheidend sein, in welchem Umfang öffentliche Mittel angesichts angespannter Finanzen in den touristischen Wirtschaftsbereich fließen sollen. Ganz besonders wenn es dabei um nicht investive Ausgaben geht. Die dabei zu treffenden Entscheidungen haben aus meiner Sicht nichts mit Identität zu tun, sondern mit der Bewertung des angemessenen Einsatzes von öffentlichen Mitteln. Mir ist klar, dass sind natürlich politische Weichenstellungen.

EAZ: Ist zu befürchten, dass die Rechnung der übermäßigen Ausgabenpolitik der VG Manderscheid Ihren Ortsgemeinden präsentiert wird, die dann durch höhere Umlagezahlungen die Entschuldung der VG Manderscheid betreiben müssten?
Holkenbrink: Wenn zwei Bereiche mit deutlich unterschiedlichem Verschuldungsgrad zu einer neuen Einheit zusammengefasst werden, ist die sich darauf ergebende Konsequenz durch angewandte Mathematik zu ersehen. Ohne einen finanziellen Ausgleich des Landes würde bei einer Zusammenfassung beider Verbandsgemeinden die Pro-Kopf-Verschuldung der neuen größeren Einheit um 240 % über der Pro-Kopf-Verschuldung von Wittlich-Land in seiner heutigen Form liegen. Sollte dies das Ergebnis einer über jahrzehnte verfolgten nachhaltigen Ausgabepolitik sein, so wäre dies sehr frustrierend.

EAZ: Der überwiegende Anteil der Arbeitsplätze liegt in der VG Wittlich-Land derzeit in den Bereichen Gewerbe und Dienstleistungen. Wird sich das künftig ändern?
Holkenbrink: Ich gehe davon aus, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird. Insbesondere wenn der Hochmoselübergang fertig gestellt sein wird. Letztendlich entscheiden dies unternehmerisch tätige Menschen. Die Verwaltung kann nur durch das Schaffen von günstigen Rahmenbedingungen diese unternehmerischen Entscheidungen beeinflussen, z.B. durch Flächennutzungsplanung, Bebauungsplanung sowie Vorhaltung von angemessenen Infrastruktureinrichtungen.

EAZ: Wäre, aus Ihrer Sicht, eine Fusion mit einer anderen Verbandsgemeinde die bessere Alternative?
Holkenbrink: Aus der Sicht von Wittlich-Land wäre es das Beste, wenn die Verbandsgemeinde in der jetzigen Form erhalten bliebe. Diese Einheit hat sich bewährt. Wir haben mit ca. 22.000 Einwohnern, 24 Ortsgemeinden und einer Fläche von 236 qkm eine optimale Größe. Die Verwaltung ist effektiv. Das belegen auch Untersuchungen des Rechnungshofes. Die Dienstleistungen für die Mitbürgerinnen und Mitbürger wie auch für die Ortsgemeinden können und werden professionell und individuell wirksam erbracht werden.

EAZ: Vielen Dank für das Gespräch!

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