Demografischer Wandel in Deutschland: „Wir brauchen mehr lokale Daten zur Versorgung alter Menschen”

Köln. Wie müssen Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige am besten zusammenarbeiten, um betagte Patienten zu versorgen? Dieser Frage widmet sich die Versorgungsforschung. Warum sie gerade für das Wohlergehen alter Menschen essenziell ist, erläutert Professor Cornel Sieber (Foto) in seiner Keynote „Stand der Versorgungsforschung in der Geriatrie“ beim Gerontologie- und Geriatrie-Kongress in Köln.

Dazu laden die Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) sowie die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG) vom 6. bis 8. September auf den Campus der Universität zu Köln ein. Cornel Sieber leitet das Institut für Biomedizin des Alterns an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. „Ich wünsche mir mehr Forschungsvorhaben aus der Geriatrie“, sagt er. Im Interview erklärt der Geriater, welche Relevanz die Ergebnisse für die ärztliche und pflegerische Praxis haben.

Herr Prof. Sieber, wo steht Deutschland bei der Versorgungsforschung in der Geriatrie?
Wir sind im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nicht sehr weit vorn. Aber wir sind auch nicht abgehängt. Das Problem der Versorgungsforschung ist, dass sie sehr kontextspezifisch ist. Wir können also nicht einfach Ergebnisse aus anderen Ländern auf Deutschland übertragen, sondern müssen diese Daten selbst lokal erheben.

Warum ist das denn insbesondere ein Thema für die Geriatrie?
In einer Gesellschaft des demografischen Wandels, wo die Versorgung für Betagte und Hochbetagte ein Topthema ist, brauchen wir wissenschaftliche Daten, um Versorgungsstrukturen gut planen und implementieren zu können. Gerade der vulnerable alte Mensch beansprucht im Gesundheitswesen überproportional viele Ressourcen. Häufig ist seine Selbstständigkeit gefährdet und er benötigt eine komplexe Behandlung, an der viele Akteure beteiligt sind, die gut zusammenarbeiten müssen für ein optimales Ergebnis.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die wichtigsten Forschungsgebiete?
Ganz klar an den Schnittstellen rund um die Versorgung von multimorbiden Patienten im Akutkrankenhaus. Bei der Einlieferung in die Notaufnahme entsteht häufig ein riesiger Informationsverlust. Wie können sich Krankenhaus und niedergelassene Haus- und Fachärzte besser absprechen, um das zu verhindern? Es folgt das Überleitungsmanagement bei der Entlassung. Viele dieser multimorbiden alten Menschen verlassen das Krankenhaus, wenn das akute Problem recht gut versorgt ist. Aber dann funktioniert die Nachsorge häufig nicht und die Patienten kommen rasch mit dem gleichen Problem wieder ins Krankenhaus. Hierzu leite ich selbst gerade ein Forschungsprojekt mit dem Titel TIGER – Transsektionales Interventionsprogramm zur Verbesserung der Geriatrischen Versorgung in Regensburg.

Was kann Versorgungsforschung denn hier leisten?
In dem Projekt begleiten Pflegefachpersonen den Übergang vom Krankenhaus zur Versorgung zu Hause. Wir nennen sie „Pfadfinder“. Diese Pfadfinder besuchen die Patienten auch zu Hause. Dort registrieren sie mögliche Verschlechterungen frühzeitig und können zum Beispiel eine Konsultation beim Hausarzt koordinieren. Im Rahmen dieser Studie untersuchen wir, ob sich mit diesem Versorgungsmodell die Wiedereinweisungsrate senken lässt. Im besten Fall senkt das Kosten und finanziert somit die Pfadfinder. Auch das ist keine neue Idee, sie heißt „Transitional Care Model“. Aber dass dieses Modell in Kanada funktioniert, genügt eben nicht. Wir müssen es hier bei uns ausprobieren.

Was können Kongress-Besucher, die Ihre Keynote gehört haben, in ihren Häusern selbst umsetzen?
Im besten Fall überlegen sie gemeinsam mit ihrem Team, welches Forschungsprojekt sie angehen wollen und wo sie dafür einen Antrag einreichen. Ich werde in meinem Vortrag aufzeigen, dass die Förderlandschaft für die Versorgungsforschung in der Geriatrie gut aufgestellt ist und die wichtigsten Fördertöpfe benennen.

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen