«Lage wird lange dauern»: Landtag berät über Katastrophe

Mainz (dpa/lrs) – Der rheinland-pfälzische Landtag hat in einer Sondersitzung von drei Fachausschüssen eine Zwischenbilanz zur Flutkatastrophe in Rheinland Pfalz gezogen und sich auf einen jahrelangen Wiederaufbau eingestimmt. «Diese Lage wird lange dauern», sagte Innenminister Roger Lewentz (SPD). Die Abgeordneten von Innen-, Klimaschutz- und Finanzausschuss folgten in der rund vierstündigen Sondersitzung am Donnerstag in Mainz dem Appell des Innenausschuss-Vorsitzenden Dirk Herber (CDU), angesichts der Katastrophe die Parteipolitik zurückzustellen.

Nach einer Schweigeminute für die Opfer gaben Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Lewentz einen Überblick zum bisher bekannten Ausmaß. Demnach wurden bis Donnerstag 128 Menschen tot geborgen und 766 verletzt ins Krankenhaus gebracht. Von den Toten wurden erst 62 identifiziert. Massenbeisetzungen soll es nicht geben. «Wir wollen, dass die Menschen in Würde von ihren Lieben bestattet werden können», sagte Lewentz. Mit Blick auf die 155 noch Vermissten erwartet die Landesregierung, dass die Zahl der Toten weiter steigt. «Eine Woche nach einem solchen Ereignis nehmen die Chancen, dass Vermisste noch leben können, ab», sagte Lewentz.

Dreyer würdigte den Einsatz der Rettungskräfte und die große Hilfsbereitschaft in der Region wie von Helfern aus dem ganzen Bundesgebiet. Am Nürburgring sei «eine gigantische Helferstadt» entstanden. Bei allem Leid zeige die Katastrophe: «Rheinland-Pfalz steht zusammen.» Die Regierungschefin sagte: «Der Wiederaufbau wird langwierig werden und sehr viel Geld kosten. Dafür brauchen wir eine nationale Kraftanstrengung.»

Die Einsatzkräfte holten etwa 330 Menschen mit Hubschraubern von Dächern und Bäumen, wie Lewentz mitteilte. Insgesamt seien bis zu 36 Hubschrauber im Einsatz gewesen. Zurzeit seien im Kreis Ahrweiler 3500 Kräfte des Katastrophenschutzes, 1050 Polizisten und 853 Soldaten im Einsatz. Die Rettungs- und Evakuierungsmaßnahmen dauerten noch an. In dem Landkreis seien 62 Brücken zerstört und 13 weitere beschädigt, sagte Lewentz. Auch wurden nach Angaben des Ministers 19 Kindertagesstätten sowie 14 von 60 Schulen stark beschädigt oder zerstört.

Innenminister Lewentz sprach vor den Abgeordneten von der Sorge, dass es am Wochenende zu neuen heftigen Regenfällen kommen könnte, die die Lage im Katastrophengebiet weiter erschweren könnten. Auch mit Blick darauf wird die Räumung der Müllberge in den Hochwassergebieten vorangetrieben. Die Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord (SGD) habe kurzfristig eine Ausnahmegenehmigung für die Deponie Eiterköpfe im Kreis Mayen-Koblenz zur Ablagerung von Haus- und Sperrmüll gegeben, sagte Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne). Die Abfallentsorgungsbetriebe hätten in Abstimmung mit der SGD Nord auch noch andere Ablageflächen festgelegt. Die Deponie Eiterköpfe könne auch ölbelasteten Boden annehmen. Für den Elektronikschrott gebe es noch keine Lösung. Die SGD werde auch klären, wie mit den zahlreichen Autowracks umzugehen sei.

Im Chaos des Hochwassergebiets muss sich die Polizei auch mit Straftaten befassen – bisher seien es 31, sagte Lewentz, darunter 25 Eigentumsdelikte. Konkrete Hinweise zu Plünderungen gebe es aber nicht.

Das konkrete finanzielle Ausmaß der Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz ist nach den Worten von Finanzministerin Doris Ahnen (SPD) noch unklar. «Sicher ist, die sichtbaren Schäden gehen schon jetzt in die Milliardenhöhe.» Ob die Katastrophe einen Nachtragshaushalt für 2021 erforderlich mache, sei noch nicht abzusehen. «Schon jetzt ist klar, dass die Katastrophe den Landeshaushalt auf Jahre hinaus belasten und beschäftigen wird.» Der Wiederaufbau sei eine enorme Herausforderung. «Wir lassen die Menschen in den betroffenen Gebieten nicht allein.»

In der ersten Phase geht es nach Angaben der Finanzministerin um Soforthilfen wie 3500 Euro je geschädigtem Haushalt. In einer zweiten Phase soll dann die Höhe der entstandenen Schäden genauer ermittelt werden. Ende Juli oder Anfang August werde es Gespräche mit Bund und Ländern über den Wiederaufbau geben, der dann in der dritten Phase umgesetzt werde. Als solidarische Lösung für die Zukunft nannte Ahnen dabei «eine Art Wiederaufbaufonds».

Ahnen bedankte sich wie Ministerpräsidentin Dreyer und andere Minister für die Spendenbereitschaft der Bevölkerung. Allein auf dem Spendenkonto der Landesregierung seien bereits mehr als 8,6 Millionen Euro eingegangen.

Mehrere Abgeordnete sprachen ihre persönliche Betroffenheit an. Den Tag der Katastrophe werde er nie vergessen, sagte der in der Eifel lebende Abgeordnete Marco Weber (FDP). Nach der Landtagssitzung an diesem Tag habe seine Mutter ihn angerufen und gesagt: «Marco gib mal Gas, wir haben hier ein Problem!»

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