Denkmal für einen kritischen Aufklärer

Spannendes Festivalfinale in Bitburg:
Stefan Aust porträtiert den Hitler-Biografen Konrad Heiden

Bitburg. Einen würdigen Abschluss hat das 13. Eifel-Literatur-Festival mit einer Lesung des vielfach preisgekrönten Autors Stefan Aust im ausverkauften Festsaal des Hauses Beda in Bitburg erfahren. Anhand seines neuesten Buches „Hitlers erster Feind“ vermittelte er 270 Gästen spannende Einblicke in Leben und Wirken Konrad Heidens (1901 – 1966), der als Journalist und Biograf ab den 1920er Jahren einer der schärfsten Kritiker und genauesten Beobachter Adolf Hitlers war.

Festivalchef Dr. Josef Zierden im Gespräch mit Stefan Aust (Foto: Harald Tittel, ELF)

Zwar war das Finale des Eifel-Literatur-Festivals ursprünglich nicht am Halloween-Datum geplant. Dass es aber aufgrund einer Terminverschiebung mit dem Gruselgeschehen zusammenfällt, das Bitburgs Straßen an diesem Abend beherrscht, passt nicht schlecht zum Thema. Zumal Dr. Josef Zierden in seiner Begrüßung vom Missgriff eines amerikanischen Vaters zu berichten weiß, der seinen kleinen Sohn an Halloween als Adolf Hitler verkleidete. Um Adolf Hitler und den Aufstieg des Nationalsozialismus dreht sich der Auftritt Stefan Austs, der sich als Mix aus Gespräch und Lesung zu einer fesselnden Geschichtsstunde entwickelt. Denn ihr liegt eine besondere Perspektive zugrunde.

Stefan Aust, der sich seit 1966 als Journalist (konkret, Spiegel, Die Zeit, Die Welt) und Autor zahlreicher Bücher wie „Brokdorf“, „Der Baader-Meinhof-Komplex“ oder „Heimatschutz“ (NSU) aufklärerisch und kritisch mit der aktuellen Zeitgeschichte auseinandersetzt, erzählt von einem Mann, der das Gleiche ab 1923 tat: Konrad Heiden, geboren 1901 als Sohn eines Sozialdemokraten und einer jüdischen Feministin. Er studierte in München und erkannte als politisch wacher Geist sehr früh, dass sich dort im Dunstkreis Hitlers eine gefährliche Bewegung anbahnte. Er beschloss als Reporter Chronist der Ereignisse zu werden und beobachtete Hitler aus nächster Nähe. 1932 klärte er in einem ersten Buch „Die Geschichte des Nationalsozialismus, Karriere einer Idee“, bereits über die Erfolgs-Mechanismen der Ideologie auf. Später in den 1930ern und 1940ern, aus dem Exil im Saargebiet und den USA, folgten weitere Bände über die Machtergreifung und die Person Hitlers. Stefan Aust erzählt, dass Heiden, obwohl seine Arbeit Grundlagen für spätere Hitlerbiografen lieferte und unter anderem von Thomas Mann als erstrangig anerkannt wurde, im Zuge der kollektiven Verdrängung nach dem zweiten Weltkrieg weitgehend vergessen war.

Auch er selbst habe ihn nur durch einen Zufall entdeckt, dann aber eine ungeheure Faszination verspürt: „Mich hat beeindruckt, wie modern er geschrieben hat, wie cool, sarkastisch und plastisch“. Vor allem das Bewusstsein, dass dieser Mann so nah am Geschehen war wie kein anderer, über eigene Beobachtung, akribische Recherchen und Kontakte aus dem engsten Kreis um Hitler alles sammelte, was an Informationen verfügbar war, habe ihn angespornt. „Ich wollte unbedingt erzählen, wie ein Journalist, der mit beiden Beinen im Leben stand, Geschichte erlebt und aufgeschrieben hat“. In Lesepassagen lässt Aust Heiden selbst zu Wort kommen und berichten, dass er Hitler zunächst für dumm gehalten, bald aber begriffen habe, dass hinter all seinem „Unsinn“ eine beispiellose Gerissenheit lauerte. Plastisch verdeutlicht Heiden aus seiner „distanzierten Nähe“, wie Hitler über die Wirkung von Rhetorik und Inszenierung seiner Auftritte Menschen köderte. Zwischen Fahnen, Liedern, emotionalen Ausbrüchen und kollektiven Gesten seien sie zu Mitwirkenden geworden, zum Teil einer Willens-, Glaubens- und Tatgemeinschaft. Heiden notierte, nachdem er beim Publikum eine „Seligkeit“ beobachtet hatte, die seiner Analyse nach in keinem Zusammenhang mit dem lächerlichen Inhalt der Reden stehen konnte: „…ich begann bestürzt, etwas über die Menschen zu lernen“.

Was er lernte, veröffentlichte er, offen und klar formuliert, als Warnung. Und auch, als die Dinge bereits ihren Lauf genommen hatten und sich viele Deutsche hinter der Schutzbehauptung verschanzten, nichts von den Grausamkeiten des Systems mitbekommen zu haben, blieb er Aufklärer. Er brachte detaillierte Informationen über Folter und den Massenmord an Juden zutage. „Man konnte damals alles wissen“ resümiert Aust. Heiden zahlte einen hohen Preis dafür, musste – aus dem Beruf verdrängt und verfolgt –  seine Heimat verlassen. Er kam in den 1950ern zurück, fasste aber im noch von alten Kräften durchsetzten Deutschland nie mehr Fuß. Ihm blieb nur noch, einen Wiedergutmachungsantrag zu stellen, der Stefan Aust bei seiner Buch-Recherche und Zusammensetzung verschiedener biografischer Puzzleteilchen wertvolle Anhaltspunkte lieferte. Hier greift der Grusel doch noch, weil sich Parallelen zwischen Heidens Schicksal und dem kritischer Journalisten heutzutage in verschiedenen Ländern der Erde auftun.

Nicht nur dank der interessanten Thematik ist der Abend mit Stefan Aust fesselnd. Auch die Erzählfreude des Autors, sein Brennen für die Materie und gelegentliche Situationskomik, dass ihm Dr. Zierden passende Buch-Textstellen zuliefern soll, macht die Veranstaltung zum kurzweiligen Erlebnis. Ein runder Abschluss für das 13. Eifel-Literatur-Festival, das so erfolgreich wie kein anderes zuvor mit Vielseitigkeit und Zugkraft getrumpft hat.

(v. Anke Emmerling)

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