Dunkle Wolken am politischen Horizont

Bitburg. (ak) Mehr als 400 Gäste aus der gesamten Eifel waren in die Stadthalle gekommen, um den Ausführungen des renommierten Fernsehjournalisten und Buchautors Ulrich Kienzle zu den Veränderungen im arabischen Raum zu lauschen. Die Erkenntnis des Abends: Wir sollten unseren Blick nicht auf Wulff und andere heimische Affären konzentrieren. Die wirkliche Gefahr geht vom mangelnden Verständnis für weltpolitische Veränderungen aus.

Ob es den prominenten Gästen des Neujahrsempfangs wie dem CDU-Landtagsabgeordneten Michael Billen oder Landrat Joachim Streit gefallen hat, was da über die Relativität der westlichen und christlichen Weltsicht geäußert wurde, war nicht ersichtlich. Doch beunruhigte Fragen zur Zukunft und nachdenkliche Mienen hinterließ der Vortrag von Ulrich Kienzle durchaus.

Der bekannte Fernsehjournalist mit langjähriger Auslandserfahrung in arabischen Ländern stellte sein neues Buch „Abschied von 1001 Nacht“ vor, indem er seine Erlebnisse etwa im Libanon und seine Analyse der aktuellen Umbrüche in Tunesien, Libyen, Ägypten oder Syrien schilderte. „Die Probleme mit der Eurorettung lassen uns den Rest der Welt vergessen, doch das ist sehr kurzsichtig“, mahnte er zu mehr Aufmerksamkeit und weniger Nabelschau. Der so genannte arabische Frühling habe Protestbewegungen in aller Welt wie etwa Occupy inspiriert, „aber wir in Deutschland haben es verschlafen, dafür Verständnis zu entwickeln“.

Keine Angst vor dem Islam haben

Kienzle plädierte für einen nüchternen und aufgeklärten Umgang mit dem Islam, der keine homogene Religion sei, sondern aus vielen sehr unterschiedlichen Richtungen bestehe. „Wir müssen ein Gefühl für die Intelligenz und den Pragmatismus der Lösungen entwickeln, die im arabischen Raum auch entwickelt werden“, appellierte der Journalist für weniger Vorurteile und Angst. Kein islamisches Land sei wie das andere, jedes habe – abgesehen von der überall grassierenden wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit für die Jugend – unverwechselbare eigene Strukturen und Probleme. „Klischees funktionieren nicht, vielmehr müssen wir differenziert denken.“

Andernfalls würden sich die gravierenden Fehler der Amerikaner wiederholen. Kienzle rechnete vor, dass der Irakkrieg den Amerikanern 1200 Milliarden Dollar kostete ohne jeglichen Gegengewinn. „Das Ergebnis ist vielmehr ein Machtvakuum, welches der Iran mittlerweile füllt. Der wiederum ist in der Lage, mit einer Blockade der Öllieferungen durch die Straße von Hormus die gesamte Weltwirtschaft zum Kollabieren zu bringen.“ Wenn Israel darauf mit militärischen Schlägen reagiere, sei dies eine Art „Selbstmordkommando“, während die USA keinen Krieg mehr führen können: „Das geht nicht nur aus finanziellen Gründen nicht, auch die Reputation wurde in Afghanistan völlig verspielt.“

Saudi-Arabien ist gefährlich

Sowohl Deutschland wie die USA und andere westliche Staaten arbeiten mit Saudi-Arabien zusammen und liefern Waffen. „Dabei ist dieser von der fundamentalistischen Scharia geprägte Staat sogar noch gefährlicher als Al Quaida, denn die Saudis missionieren mit ihrem Geld weltweit und beeinflussen den Islam in Richtung Gewalt“, warnte Kienzle vor einem grandiosen Missverständnis von Stabilität und Sicherheit. „Unsere Nahostpolitik handelt orientierungslos und eine gemeinsame europäische Außenpolitik, die notwendig wäre, gibt es gar nicht.“

Kienzle setzt auf den Wunsch der Jugend in den arabischen Ländern, den Anschluss an das 21. Jahrhundert zu bekommen. „Von den 350 Millionen Menschen in den arabischen Staaten sind mehr als die Hälfte jünger als 25 Jahre. Sie wollen Arbeit und Wohlstand. Religiöser Wahn wird das nicht leisten können.“ Die Hoffnung des erfahrenen Journalisten: „Wenn wir Glück haben, entwickelt sich ein islamischer Pluralismus ähnlich wie in Europa in Folge der Französischen Revolution.“

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