Heinrich Lehmann

Rechtswissenschaftler aus Prüm

196_lehmann_29_14Andere Eifeljungen träumten davon, Missionar, Eisenbahner oder Offizier zu werden. Nicht so der 1876 in Prüm geborene Heinrich Lehmann: Er malte sich schon in seinen Jugendträumen den Beruf des Juristen „als besonders erstrebenswert“ aus. Nährboden dieses durchaus seltenen Jugendtraums bildete der familiäre Hintergrund. Schon Lehmanns Urgroßvater war Notar gewesen, sein Vater amtierte zur Zeit der Geburt seines Erstgeborenen Heinrich als Friedensrichter in Prüm, ehe er für rund ein Jahrzehnt als Landrichter nach Saarbrücken-St. Johann wechselte. Vom Saarland aus machte Heinrich mit seiner Mutter Catharina (geb. Willems) öfters Ausflüge nach Trier, wo Großvater Willems als Inhaber einer florierenden Eisenwarenhandlung und einflussreicher Trierer Geschäftsmann lebte. 1891 zog die Lehmann-Familie nach der Ernennung des Vaters zum Oberlandesgerichtsrat nach Köln.

Der Eindruck eines bürgerlich gesicherten Lebens, der sich aufdrängen könnte, täuscht. Heinrich, inzwischen Schüler am Kölner Apostelgymnasium, wurde immer wieder von Erkrankungen heimgesucht, die ihn lange von der Schule fernhielten. Eine chronische Knochenhautentzündung machte ihm das Gehen zur Pein oder zwang ihn völlig ins Bett. Folge einer Scharlacherkrankung war eine bleibende Schwerhörigkeit. 1893 starb sein Vater nach schweren Infektionen, was die finanzielle Lage der 38-jährigen Witwe und ihrer fünf Kinder vorübergehend dramatisch verschlechterte. Umso eindrucksvoller erscheint es, dass Heinrich zwei Jahre später als bester Oberprimaner Abitur machte. 1895 begann Lehmann das Jurastudium in Freiburg am Breisgau. Fast jedes Semester wechselte er den Studienort: München, Berlin und schließlich zum 5. Semester nach Bonn. 1898 wurde er Rechtsreferendar, 1902 Assessor und Hilfsrichter. Seine Dissertation über „Die Unterschrift im Tatbestand der schriftlichen Willenserklärung“ (1902) war mit 138 Druckseiten für die damalige Zeit ungewöhnlich umfangreich. Erneut vier Jahre später legte Dr. Lehmann mit einer Habilitationsschrift über „Unterlassung als Gegenstand der Leistungspflicht“ die Grundlage für seine Tätigkeit zunächst als Privatdozent in Bonn, dann als Professor in Jena. Nach kurzen Zwischenstationen in Straßburg und Bonn wechselte Lehmann 1920 auf die neugegründete Kölner Universität. Dort blieb er, zeitweise als Rektor, bis zum Ende des Weltkriegs. Die Nachkriegsjahre waren von Querelen im Entnazifizierungsverfahren geprägt; sie endeten erfolgreich und entlastet mit der Wiedereinsetzung in sein Amt. 1948 wurde Prof. Lehmann emeritiert, war aber auch danach noch vielfältig als gefragter Jurist aktiv.

Als Rechtswissenschaftler zählte der Privatrechtler Lehmann zu den Großen seines Fachs. Seine Lehrbücher zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) beeinflussten Generationen von Juristen ebenso wie seine Werke zum Handelsrecht. Von 1917 bis 1958 griff Lehmann regelmäßig in Besprechungen höchstrichterlicher Entscheidungen aktuelle Rechtsfragen auf. Bei seinen zahlreichen wissenschaftlichen Aufsätzen ging es oft um juristische Reformvorhaben. In seiner gründlichen Dissertation „Das BGB als Durchgangspunkt“ (2002) zum Lebenswerk Lehmanns hob André Depping dessen Aufgeschlossenheit für neue Entwicklungen hervor, die ihn früh zum Kritiker des angeblich unsozialen und zu individualistisch-liberalen BGB machten. Lehmann habe sich – etwa mit seinen „Grundlinien des deutschen Industrierechts“ (1913) – als einer der ersten Rechtswissenschaftler volkswirtschaftlichen Fragen zugewendet. Bedenkliche Kehrseite dieses lehmannschen „Gespürs für den Zeitgeist“ (A. Depping) wurde seine zunehmende Hinneigung zu völkisch geprägtem Gedankengut während der NS-Herrschaft. Forderungen nach einem Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft oder dem Vorrang von Pflichten gegenüber Rechten stießen damals bei Lehmann auf offene Ohren; wie viele seiner Kollegen trauerte er der Zerschlagung der Weimarer Demokratie nicht nach. Er forderte nun sogar, das BGB preiszugeben und verlangte 1938, der Gesetzgeber müsse „die Revolution der Weltanschauung legalisieren“. Der NS-Plan, das bürgerlich-liberale BGB durch ein ideologiekonformes „Volksgesetzbuch“ zu ersetzen, wurde von Lehmann führend unterstützt. Nach dem Ende der NS-Diktatur revidierte Lehmann derartige Auffassungen, und seine rechtspolitisch bedeutsamen Äußerungen entsprachen nach Gründung der Bundesrepublik dem vorherrschenden Bild eines konservativen katholischen Demokraten. Mit Bundeskanzler Adenauer stand mittlerweile ein Kölner Klassenkamerad Lehmanns und erklärter NS-Gegner an der Spitze der deutschen Politik; für ihn fand Lehmann nur Worte höchsten Lobes. Vielfach geehrt starb Heinrich Lehmann, Vater von vier erfolgreichen Kindern, im Jahr 1963. Professor Gerhard Kegel (1912-2006), in Daun verstorbener Großmeister des Internationalen Privatrechts und ein Eifelfreund wie Lehmann, gab 1976 dessen Lebenserinnerungen heraus. Er hob dabei die kraftvolle, der Kunst und Musik zugewandte Persönlichkeit Lehmanns hervor, der zahllose Freunde und keinen Feind gehabt habe. Verfasser: Gregor Brand

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