Vor 30 Jahren: Ein ehemaliger Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger in Niederadenau

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Der Autor des Beitrags und Zeitzeuge Hans-Peter Meyer an der Stätte der Begegnung mit Willy Brandt Foto: © Hans-Peter Meyer

Hans-Peter Meyer erinnert sich…

Nein, es war kein Staatsbesuch oder der Teil einer offiziellen politischen Visite oder Mission. Es war ein sonniger Herbsttag im Jahre 1984 und doch war es ein bleibendes Erlebnis – auch nach 30 Jahren unvergessen. Nach der Rückkehr von einem Einkaufstrip in die Eifelmetropole Adenau machte mich mein damaliger Nachbar Paul Rader, Inhaber der gegenüberliegenden ARAL-Tankstelle darauf aufmerksam, unterhalb von Niederadenau in der zum Ort gehörenden Gemarkung am „Stemmbachsseifen“ habe ein Fahrzeug mit dem ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt geparkt.

Ich hielt es zunächst für einen Scherz, aber meine Neugierde ließ mich nicht ruhen. Gemeinsam mit dem Bruder von Paul Rader, dem anwesenden Diplom-Ingenieur Hans Rader aus Koblenz, der zu dieser Zeit oft in seiner alten Heimat weilte, führte uns der Weg zum beschriebenen Ort. Ja, dort stand auf einer Parkfläche am Rande eines Wiesengrundstücks eine Limousine mit einem Fahrer. Dieser unterhielt sich gerade angeregt mit dem inzwischen verstorbenen Niederadenauer Mitbürger Peter Schmitten, der nebenan ein Grundstück nebst Fischweiher besaß und bewirtschaftete. Dem Gespräch war zu entnehmen, dass es sich um den Chauffeur des Dienstwagens handelte und die hierhin chauffierten Personen Willy Brandt und seine Gattin Brigitte Seebacher-Brandt waren. Irgendwie war ich immer noch skeptisch, wo war Willy Brandt geblieben? Er hatte gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin einen Spaziergang den Weg entlang des Adenauer Baches in Richtung Niederadenau bis hin zum Wiesenweg unternommen.

Nach der Rückkehr zu dem Fahrzeug begegnete uns Willy Brandt zunächst mit Zurückhaltung und vor der Abfahrt hatten wir den Mut, den ehemaligen Bundeskanzler und Friedennobelpreisträger anzusprechen. Warum gerade Niederadenau? Er besuche, so war im kurzen sympathischen Gesprächsdialog zu entnehmen, die Eifel des Öfteren, die Landschaft und die Menschen seien ihm sympathisch. Nach der anregenden Unterhaltung verabschiedete er sich in Richtung Unkel am Rhein, wo er seinerzeit bis zu seinem Tode im Alter von 78 Jahren am 8. Oktober 1992 lebte und seinen Wohnsitz hatte.

Die Eifel war sicherlich nicht die Region, wo er die Mehrheit seiner Wähler -und Anhängerschaft hatte, dennoch fühlte er sich dort wohl, wie man seinen Worten unmissverständlich entnehmen konnte. Zuvor hatte ich Willy Brandt zweimal erlebt: Einmal bei einem Wahlkampfauftritt im Kurhaus von Bad Neuenahr im Jahr 1969 (danach wurde er zum Bundeskanzler gewählt) und wenige Jahre später zufällig einmal auf dem Bonner Hauptbahnhof, als er in einem Sonderzug zu einer Wahlkampfreise aufbrach, beide Male aber stark abgeschirmt von Sicherheitsbeamten. Und hier in Niederadenau stand er uns ohne Securitybegleitung direkt gegenüber. Das vergisst man nicht.

Stationen seines langen politischen Lebens waren u.a.: Regierender Bürgermeister von Berlin (1957-1966) und das während der Berlinkrise, dann Bundesaußenminister (1966 – 1969), zuvor als Journalist Berichterstatter bei den Nürnberger Prozessen, Träger zahlreicher Ehrungen und Orden, als Sozialdemokrat galt er als Visionär und Weltbürger – über Willy Brandt sind bereits zu Lebzeiten zahlreiche Biografien sowie wissenschaftliche und journalistische Würdigungen und Analysen geschrieben worden. Legendär sind sein Kniefall vor dem Ehrenmal der Opfer des jüdischen Ghettos in Warschau 1970 und seine Worte nach dem Mauerfall 1989: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“. Es hat ihn mit großer Dankbarkeit erfüllt, dass er das Ende der Teilung Deutschlands noch erleben durfte, wie er oft betonte.

Wenngleich Willy Brandt während seiner aktiven Politikerzeit wegen seiner Herkunft, seiner Emigrations- und Exilzeit während des Krieges oft beleidigend angefeindet wurde und polarisierte und seine Kanzlerschaft durch den Spionageaffäre Guillaume tragisch endete, so kann man auch als Kritiker im Rückblick seine Verdienste nicht leugnen: so hat er als Bundeskanzler (1969 – 1974) mit seiner Ostpolitik die ersten Schritte zu der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes eingeleitet, wurde 1971 mit dem Friedensnobelpreis für seine Entspannungs- und Friedenspolitik geehrt, war 23 Jahre (1964-1987) lang Vorsitzender seiner Partei, seit 1977 Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission (eine unabhängige Kommission für internationale Entwicklungsfragen, die ihre Aufmerksamkeit auf die Probleme respektive Lösung der Armutsbekämpfung in der -Dritten- Welt lenkte , ferner war er von 1976 bis 1992 Vorsitzender der Sozialistischen Internationale (ein weltweiter Zusammenschluss sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien und Organisationen , der seinerzeit bis zu 168 Parteien und Organisationen aus der ganzen Welt angehörten und als Kosmopolit war er vornehmlich in der Dritten Welt unterwegs, um sich um die Nöte der armen und benachteiligten Länder und deren Menschen zu informieren und um Hilfe bemüht zu sein und sein Rat wurde von vielen Staaten und bedeutenden Staatsmännern gefragt. Seine Verdienste haben später auch seine politischen Gegner von einst gewürdigt. An die Macht des Friedens und die Kraft der Versöhnung hat er zeitlebens geglaubt.

Das er damals als führender Repräsentant der Nord-Süd-Kommission und auch als Vorsitzender der Sozialistischen International (SI) sehr oft weltweit auf allen Kontinenten unterwegs war, um so mehr war ich überrascht, dass er gelegentlich die Zeit fand, um einen Abstecher in eine Region wie die Eifel zu unternehmen. Vor einigen Wochen habe ich den Ort der Begegnung nochmals besucht und plötzlich war alles gegenwärtig, so als wäre es erst gestern geschehen. Vielleicht ist dies für die vielen Mitbürger der Gemeinde kein besonderes Ereignis. Dennoch wollte ich die Menschen der Region an diesem Erlebnis teilhaben lassen. Man muss nicht – wie es angeregt wurde – an den Ort des Geschehens einen Gedenkstein oder eine Gedenktafel aufstellen, dennoch sollte das Ereignis festgehalten werden, denn ein ehemaliger Bundeskanzler und vor allem ein Friedensnobelpreisträger auf Niederadenauer Territorium, das gibt es sicher nicht alle Tage und wird es wahrscheinlich in naher Zukunft auch nicht wieder geben und vielleicht gibt es Mitbürger späterer Generationen, die sich für ein solches Ereignis der Vergangenheit interessieren.

Anlässlich des 100. Geburtstags von Willy Brandt im vergangenen Jahr wollte ich diese Geschichte veröffentlichen, komme aber zum jetzigen Zeitpunkt erst dazu. Wenn die Zeitzeugen weniger werden und man als möglicherweise letzter Zeuge des Geschehens älter wird, entsteht ein Bedürfnis, ein solches Ereignis aus der alten Heimat schriftlich aufzuzeichnen. Die anderen Zeitzeugen Paul und Hans Rader sowie Peter Schmitten sind inzwischen leider verstorben.

Zum damaligen Zeitpunkt war ein fotofähiges Handy oder Smartphone leider noch nicht greifbar, womit man das Ereignis hätte fotographisch festhalten können. So bleibt auch nach 30 Jahren in der Tat eine beeindruckende Erinnerung und ob und inwieweit dies auf kommunaler Ebene von historischer Bedeutung ist oder sein wird, dies wird sich möglicherweise erst später herausstellen und das sollen andere entscheiden.

© Hans-Peter Meyer, Bad Ems (früher Niederadenau)

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