Moskau wirbt Kämpfer, Kiew ringt um Verteidiger

Von Ulf Mauder und Andreas Stein, dpa

Moskau/Kiew (dpa) – Auf Moskaus Straßen gibt es kaum noch ein Entrinnen vor den Häschern des russischen Militärs. An Geschäften und Hausfassaden kleben Flugblätter, es gibt Informationsstände vor Metrostationen und Infomobile – alles Werbung für einen Einsatz im Kriegsgebiet in der Ukraine. «Unser Beruf ist es, die Heimat zu verteidigen», steht etwa auf einem vielfach verteilten und verklebten Poster mit Soldaten samt Telefonnummer 117, die zum Vertrag für einen freiwilligen Dienst an der Front führt. 400.000 Kämpfer will Russland so für seinen verlustreichen Krieg gewinnen.

Zwar muss nicht Russland sich verteidigen, sondern die von Moskau angegriffene Ukraine. Aber Moskaus Staatspropaganda hat den blutigen Überfall auf das Nachbarland, den Kremlchef Wladimir Putin vor rund 14 Monaten anordnete, längst umgedeutet in einen Krieg mit dem Westen. Bei vielen Russen verfängt die durch nichts belegte Erzählung Putins, der Westen mit den USA und ihrem Militärblock Nato an der Spitze ziele auf eine Zerstückelung des flächenmäßig größten Landes ab, um an seine Rohstoffe zu kommen. Die Ukraine ist demnach nur ein Schlachtfeld, auf dem dieser Kampf derzeit ausgetragen wird.

Noch im September musste der Staatsapparat viele Reservisten mithilfe einer chaotischen und vielfach kritisierten Mobilmachung zum Dienst an der Front oft regelrecht prügeln. Nun lockt er mit vergleichsweise lukrativem Sold, der um ein Vielfaches über dem Durchschnittseinkommen liegt. Um das Anwerben von Freiwilligen ist zudem ein Konkurrenzkampf zwischen der Privatarmee Wagner und dem Verteidigungsministerium entbrannt.

Gesellschaftlicher Druck auf Russen für Kriegseinsatz

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hat Dutzende Anwerbepunkte im Land eingerichtet. Erfahrung ist nicht nötig. Und er bietet einen höheren Grundsold als das Verteidigungsministerium von 240.000 Rubel (rund 2700 Euro) monatlich. Der Vertraute von Putin verspricht Erfolgsprämien, moderne Kampfuniformen, die beste Ausrüstung und Bewaffnung sowie eine Kranken- und Lebensversicherung und eine Vorbereitung durch hoch qualifizierte Ausbilder.

Inzwischen sehen sich russische Männer zunehmend gedrängt zum «freiwilligen Kriegsdienst». Das Staatsfernsehen präsentiert etwa in langen Reportagen das «Zentrum für die Auswahl von Bürgern für den freiwilligen Militärdienst» in der Jablotschkowa-Straße 5 in Moskau. Der Andrang scheint groß. Männer füllen dort reihenweise Formulare aus – und lassen sich medizinisch durchchecken. Es gebe sehr viele Interessenten, erzählt der Freiwillige Georgi Petrow.

Frauen und Männer sprechen in die Kamera, dass sie die Heimat verteidigen wollen – im Schützengraben oder etwa auch im medizinischen Dienst. Wer keine Arbeit hat – viele Menschen haben wegen der Sanktionen und Firmenschließungen keinen Job mehr -, kann sich auf das gut bezahlte, aber lebensgefährliche Kriegsabenteuer einlassen. Kritiker sprechen von Russisch Roulette. Aber in den sozialen Netzwerken sagen viele, dass ihnen die Aussicht auf etwas Vermögen und das damit verbundene Risiko mehr wert seien, als ein Leben im Nichts.

Putin hat vorgesorgt für ein Scheitern der Werbekampagne

Mit einem Video im Stil eines Actionfilms zieht nun noch das Verteidigungsministerium über einzelne Berufe her und fragt, ob die Männer dort am richtigen Platz seien. Zu sehen sind ein Wachmann in einem Supermarkt, ein Trainer im Fitnessstudio und ein Taxifahrer, die sich mittels Spezialeffekten in Soldaten in Uniform verwandeln. Die Botschaft: «Du bist doch ein Mann!» Offen werden die Männer zum Fronteinsatz aufgerufen. Doch die Versprechungen von Glück in dem Video stehen im Widerspruch zu anderen Clips, in denen Soldaten immer wieder schlechte Ausrüstung, miese Führung und Behandlung beklagen.

Unklar ist bislang, wie gut diese PR-Offensive zieht. Aber Putin hat vorgesorgt. Er unterzeichnete im April ein Gesetz, das den zwangsweisen Einzug von Reservisten deutlich vereinfacht – anders als bei der Mobilmachung von 300.000 Männern im Herbst. Das Gesetz soll auch eine neue Massenflucht von Hunderttausenden Wehrpflichtigen verhindern, weil mit Zustellung des Einberufungsbescheids die Ausreise unmöglich wird.

Kiew will 80.000 Soldaten für Offensive

Die Ukraine dürfen Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren schon seit Kriegsbeginn nicht mehr verlassen – oder nur in Ausnahmefällen. Rund 700.000 Ukrainer sollen bisher bei Armee, Nationalgarde, Grenztruppen und Polizei unter Waffen stehen. Angesichts täglicher Verluste im dreistelligen Bereich brauchen die bewaffneten Kräfte ständig Nachschub. Doch auch ein Sold für Frontsoldaten von umgerechnet 3000 Euro im Monat kann angesichts der blutigen Kriegsrealität nur noch einen Teil der Ukrainer motivieren.

Für die im Mai erwartete Frühjahrsoffensive sollen Medienberichten zufolge zwölf Brigaden von zusätzlich bis zu 80.000 Soldaten vorbereitet werden. Zwar versicherte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Februar erneut, dass Kiew «die Menschen nicht mit Knüppeln in den Krieg jagen» werde. Videos in sozialen Netzwerken etwa aus den Großstädten zeigen hingegen bisweilen ein anderes Bild.

Seit Wochen kursieren Clips, wie vor allem Männer im mittleren Alter von Militärvertretern auf der Straße angehalten, teils unter heftigem Widerstand in Autos gesteckt und davongefahren werden.

Für Aufsehen sorgte der Fall des 33-jährigen Bohdan Pokitko aus dem westukrainischen Ternopil. Ende Januar von der Straße ins Kreiswehrersatzamt gebracht, wurde er am 12. Februar ins Gebiet Donezk verlegt. Vier Tage später war er tot. Die einzige Ausbildung, die er erhalten haben soll, sei das Auseinandernehmen einer Kalaschnikow gewesen, berichteten Medien.

Auch der bei Bachmut kämpfende Soldat Mychajlo Tschoknadij bestätigte im April, seiner Einheit seien völlig unausgebildete Rekruten als Ersatz geschickt worden. «Sie haben noch nie im Leben geschossen und überhaupt keine Ausbildung durchlaufen», sagte er. Nach fünf Tagen Feldlager seien die frisch Mobilisierten sofort an die Front geworfen worden und dabei nicht einmal in der Lage gewesen, die Magazine ihrer Sturmgewehre zu laden. Die Militärführung hingegen betonte, dass kein Soldat ohne das Durchlaufen der Grundausbildung an die Front gelange.

Kiew kämpft gegen Fahnenflucht

Wie viele Russen versuchen auch ukrainische Männer, sich zu Tausenden dem Militärdienst zu entziehen. In Telegramgruppen mit Zehntausenden Teilnehmern warnen sie sich vor Militärpolizisten. Wer Musterungsbescheide ignoriert, riskiert jahrelange Gefängnisstrafen. Diejenigen, die es sich leisten können, versuchen sich mit gefälschten ärztlichen Attesten oder gleich direkt beim Kreiswehrersatzamt gegen Bestechung freizukaufen.

Und immer wieder gibt es Fluchtversuche. Beinahe täglich zeigt der Grenzschutz Bilder von gefassten Flüchtlingen an den Westgrenzen. Gestellt werden Männer in Frauenkleidern, Männer, die sich mit gefälschten Geburtsurkunden für kinderreich ausgeben, Männer, eingewickelt in Teppiche oder versteckt in Kofferräumen.

Für Fluchthelfer ist das ein einträgliches Geschäft. Der Schaffner des täglichen Zuges aus dem südostukrainischen Saporischschja ins polnische Przemysl soll über mehrere Monate für umgerechnet jeweils mehr als 2000 Euro wehrpflichtige Männer in einem speziell hergerichteten Lüftungsschacht außer Landes gebracht haben. Ihm drohen nun zehn Jahre Haft.

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Nicht nur Schläge sind Gewalt

Von Gisela Gross, dpa

Berlin (dpa) – Schläge. Tritte. Spritzendes Blut. Mit solchen Bildern ist der Begriff Gewalt oft in erster Linie verbunden. Vor dem Tag der gewaltfreien Erziehung am Sonntag wollen Fachleute dafür sensibilisieren, dass weit mehr dahintersteckt. Der Kinderschutzbund teilt mit, das Thema psychische Gewalt mit Plakaten in Großstädten im Zuge der Kampagne «Gewalt ist mehr, als du denkst» in den Fokus zu rücken.

Als solche zu werten sind demnach etwa Demütigungen und Drohungen wie «Aus dir wird nie was.» Oder: «Wenn du jetzt nicht schläfst, dann knallt es!» Es geht aber nicht nur um Worte: Unter anderem werden auch längeres Anschweigen oder Ignorieren des Kindes, Isolieren zu Hause («Du hast zwei Wochen Hausarrest!») und extremer Leistungsdruck als psychische Gewalt eingestuft.

«Kinder nehmen nicht nur Schaden, wenn sie geschlagen werden», sagt Claudia Buß, Professorin am Institut für Medizinische Psychologie der Charité in Berlin. «Vernachlässigung und emotionaler Missbrauch können sich ebenfalls negativ auswirken.» Viele seien betroffen: Circa jedes dritte Kind werde Opfer von Misshandlung und/oder Vernachlässigung.

Nicht nur die Betroffenen tragen diese Erfahrungen oft ein Leben lang mit sich herum. Sie geben Risiken offenbar auch weiter. Forscher blickten auf die Gesundheit der Folgegeneration und fanden Zusammenhänge mit mütterlichen Missbrauchserfahrungen. Davon berichtete ein Team um Buß im Fachblatt «The Lancet – Public Health». Sie werteten Daten von über 4300 Mutter-Kind-Paaren aus.

Höhere Erkrankungsrisiken bei Kindern misshandelter Mütter

Die Nachkommen von Frauen, die als Kind missbraucht und/oder vernachlässigt worden waren, hatten laut der Studie ein höheres Risiko für verschiedene Erkrankungen: Vorstufen von Depression und Angststörungen, das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS, Autismus und Asthma. Bei Töchtern dieser Mütter wurde zudem häufiger Übergewicht festgestellt als bei deren Söhnen. Die Autoren können zwar nur Zusammenhänge feststellen, den Missbrauch also nicht als direkte Ursache der Erkrankungen nachweisen. Buß sieht die These der Weitergabe von Risiken über Generationen hinweg aber auch durch anderweitige Untersuchungen gestützt, etwa an Tieren.

«Die Forschung zeigt: Je schwerwiegender und je mehr verschiedene Missbrauchs- und Vernachlässigungserfahrungen ein Kind macht, umso schlimmer sind die gesundheitlichen Konsequenzen. Sowohl für das Opfer selbst als auch für die nächste Generation», sagt die Wissenschaftlerin. Sie fordert ein besseres Unterstützungssystem, um Überforderung bei Eltern zu erkennen und im Idealfall gleich zwei Generationen zu helfen. «Man weiß leider, dass Eltern, die ihre Kinder misshandeln oder vernachlässigen, das häufig selbst erlebt haben und damit überfordert sind. Statt ihnen die Schuld zuzuweisen, muss man schauen, wie man diese Menschen maximal unterstützen kann.»

Mehr Unterstützung schon vor der Schwangerschaft gefordert

Auch wenn die genauen Mechanismen der Übertragung des Risikos auf die folgende Generation noch nicht komplett entschlüsselt sind: Buß schweben Hilfen möglichst schon vor der Schwangerschaft vor. «Die Frage psychischer Belastungen müsste stärker in die generelle medizinische Versorgung einbezogen werden, etwa in der Gynäkologie und Kindermedizin.» So wie man Schwangeren zu gesunder Ernährung und zum Stillen rate, müssten werdende Eltern über die Bedeutung ihrer eigenen psychischen Gesundheit für eine gesunde Entwicklung des Kindes aufgeklärt werden. Gerade bei Frauen, die zum ersten Mal schwanger werden, könnten eigene Kindheitstraumata wieder hochkommen.

Bisher fehle der Raum, dies mit Fachkräften zu besprechen. «Wenn Vorbeugung nicht gelingt, muss man Missbrauchsopfer in der Kindheit so früh wie möglich erkennen und ihnen helfen. Je länger ein Kind in so einer Situation ist und je länger es unter chronischem Stress steht, desto schwerwiegender sind die Folgen», sagt Buß. Sie spricht von drohenden biologischen Narben: sich verändernden Hirnstrukturen und Veränderungen der langfristigen Regulation verschiedener Gene, die Grundlage sein könnten für spätere gesundheitliche Folgen.

Bisher noch wenig Bewusstsein – was Eltern tun können

Eine Studie des Uniklinikums Ulm zu Einstellungen zu Körperstrafen und elterlichem Erziehungsverhalten von 2020 zeigte, dass es in Deutschland noch an Bewusstsein für das Thema mangelt. «Dass ein moderner Gewaltbegriff auch emotionalen Druck, emotionale Herabwürdigung und Gesten, die vor allem demütigen (eine Ohrfeige oder ein Klaps auf den Po) miteinschließen, ist häufig nicht verstanden worden.» Dabei führe psychische Gewalt zu nicht weniger schlimmen Langzeitfolgen als körperliche und sexuelle Gewalt.

Für das Entstehen von Krankheiten jedoch müssen viele Faktoren zusammenkommen, macht Buß klar. «Es ist nicht davon auszugehen, dass ein Kind zerbricht oder krank wird, wenn es ab und zu erlebt, dass es den Eltern nicht so gut geht.» Eltern seien nicht unfehlbar. Wichtig sei ein Bewusstsein: «Wenn man als Eltern bemerkt, dass man sich im Ton vergriffen hat, kann man sich beim Kind entschuldigen und die Situation erklären.» Wer bei sich selbst eine dauerhafte Belastung bemerke, solle sich Hilfe holen.

Die Beobachtungsstudie jedenfalls zeigt: Längst nicht jedes Kind einer Mutter mit Misshandlungserfahrungen trägt gesundheitliche Folgen davon. Das deutet auf teils vorliegende schützende Umstände hin. Enge Bezugspersonen etwa, bei denen sich ein Kind sicher fühlt, können aus Expertensicht Negativfolgen abpuffern.

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Alles Oranje: Niederlande feiern «Koningsdag»

Rotterdam (dpa) – Die Niederlande haben mit fröhlichen Volksfesten und orangefarben geschmückt den «Koningsdag» gefeiert – den Geburtstag ihres Königs Willem-Alexander. 56 Jahre alt wurde der Monarch am Donnerstag. Außerdem wurde auch sein zehnjähriges Thronjubiläum gefeiert. Traditionell feierte das Land mit Straßenpartys, gigantischen Flohmärkten und Festivals. Und dazu gehörte natürlich die Farbe des Königshauses: Orange.

Die Oranje-Familie besuchte in diesem Jahr Rotterdam. Die Hafenstadt präsentierte ein buntes Programm – gestaltet von Bürgern verschiedenster Kulturen. Viele Rotterdamer jubelten der Familie zu: dem König, seiner Frau Máxima (51) und ihren Töchtern Amalia (19) und Ariane (16). Prinzessin Alexia (17) besucht zurzeit die Schule in Schottland und konnte wegen Prüfungen nicht dabei sein, sagte Königin Máxima. Die Frauen präsentierten sich in fröhlichen bunten Farben. Máxima trug ein apfelgrünes Kleid, Kronprinzessin Amalia einen pinkfarbenen Anzug, und ihre Schwester zeigte sich im beigen Anzug mit königsblauem Shirt und Täschchen. Weiterlesen

Benito Bause findet den Begriff «afrodeutsch» veraltet

Berlin (dpa) – Schauspieler Benito Bause («Doppelhaushälfte», «All You Need») kann dem Begriff «Afrodeutscher» nicht sehr viel abgewinnen. «Für mich ist der Begriff “afrodeutsch” veraltet und “People of Color” zeitgemäß», so der Sohn eines Italieners und einer Tansanierin zur Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Der Begriff “afrodeutsch” ist in den 80er Jahren in Anlehnung an das Wort “afroamerikanisch” entstanden und hat definitiv ein empowerndes Momentum erzeugt, das bis heute anhält.»

Der Berliner Schauspieler (32) fuhr fort: «Allerdings empfinde ich persönlich “People of Color” als inkludierender, weil es alle Menschen, die Rassismus erfahren, mitdenkt», erläuterte Bause. «Was mir wiederum an “afrodeutsch” besser gefällt, ist, dass es ein deutscher Begriff ist. “PoC” ist immer noch ein Ausdruck der Übergangsphase, in der wir uns in Deutschland befinden. Wir sind hierzulande mitten auf der Suche nach Bezeichnungen, die die deutsche Schwarze Realität adäquat widerspiegeln. Ein Anfang macht vielleicht das große “S” vor dem Wort Schwarz als politische Selbstbezeichnung.» Weiterlesen

Wie der Pullunder wieder zum It-Piece wurde

Von Gregor Tholl, dpa

Berlin (dpa) – Der angeblich spießige Pullunder hat in deutschen Geschichtsbüchern einen bemerkenswerten Platz. Im gelben Pullunder formte einst der FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher als Außenminister maßgeblich die Deutsche Einheit mit. Das ärmellose Kleidungsstück, das der sächsische Comedian Olaf Schubert gern mit Rhombus-Muster trägt oder Komiker Karl Dall einst in seinem Bühnenprogramm «Der Opa», soll jetzt wieder angesagt sein. Weil es den Preppy-Style bedient. Und weil der Oma/Opa-Stil im Trend liegt. Wer das jetzt alles nicht versteht, muss wohl weiterlesen.

«Was grundsätzlich spießig und altbacken klingt, erfährt 2023 einen großen Hype und ist alles andere als langweilig», schrieb kürzlich das Lifestyle-Magazin «Gala». Der sogenannte Granny Style verrate schon im Namen, dass es «um unsere Omas und ihre Garderobe» gehe. «Manchmal bezieht es auch Opas Kleiderschrank mit ein – schließlich haben wir Geschlechterklischees längst hinter uns gelassen.»

Daniela Uhrich vom Lady-Blog erklärt, der Trend funktioniere tatsächlich für Frauen wie für Männer. «In der Modebranche gibt es zunehmend ein Bewusstsein für Genderfluidität und Unisex-Mode. Der Pullunder als vielseitiges Kleidungsstück passt gut in diese Tendenz zur Geschlechter-Neutralität. Und noch in einem weiteren Punkt entspricht er dem Zeitgeist: In Homeoffice-Zeiten lieben wir Looks, die bequem und gut angezogen zugleich sind.»

Vom Spießerteil zum Must-have

Uhrich erläutert: «Seit etwa drei Jahren erlebt der Pullunder eine Renaissance.» Dass sich der Pullunder vom Spießerteil zum Mode-Must-have und sogenannten It-Piece gemausert habe, liege an zwei Trends: dem Grandpa- und dem Preppy-Style. Großvaters Kleiderschrank sei nun Inspirationsquelle. Zum Look mit Cordhose und Strick-Cardigan dürfe auch der wollige Pullunder nicht fehlen.

Der Preppy-Stil, abgeleitet von den schicken Privatschulen namens Preparatory Schools, erlebe ein erneutes Revival. «Zum Elite-Internat-Chic zählt Mode für Tennis, Segeln, Polo und die Bibliothek, also etwa Poloshirts, Strick-Pullis, Loafer und Bootsschuhe, Perlen und Pullunder mit V-Ausschnitt.»

Beide Trends sprechen für eine Rückbesinnung auf Tradition und Retro-Looks, wie die Journalistin und Autorin Uhrich («lady-blog.de») sagt. «In einer schnelllebigen und von Technologie geprägten Welt erinnert der Pullunder an vergangene Zeiten.» Einer der großen Verfechter des nostalgischen (und durchaus auch ironischen) Kleidungsstücks sei der britische Popstar Harry Styles.

Eine sozusagen überarbeitete Version des Pullunders können Frauen zudem beispielsweise über einem Kleid, als Oversize-Variante (also als Pullunderkleid) über einer Bluse oder als Top zu Shorts tragen.

Kommerziell lanciert?

Die Kleidungshistorikerin Julia Burde ist in ihrer Einschätzung von Retro-Mode und Trend-Teilen wie dem Pullunder vorsichtiger: «In der Frage, inwieweit die Wiederkehr von Retro-Elementen wie zum Beispiel dem Pullunder tatsächlich soziokulturell hervorgebracht oder doch eher durch Mechanismen des kommerziellen Modemarktes bewusst lanciert wird, tendiere ich zu Letzterem», sagt sie.

«Der Pullunder ist Sportkleidung. Seine Anfänge reichen ins späte 19. Jahrhundert zurück, als Strick- und Trikotkleidung zum Inbegriff moderner Kleidung wurden», sagt Autorin Burde («Die Begradigung der Taillenkontur in der Männermode»). Ausgegangen sei dies von den Sportmannschaften angloamerikanischer Elite-Unis – im Grunde die Keimzelle der Freizeitkleidung (Leisure-Wear), die heute globalisiert sei «und bürgerliche Dresscodes weitgehend gekippt hat».

Der Pullunder wurde laut Burde, die Dozentin im Fach Kulturgeschichte der Kleidung am Studiengang Kostümbild der Universität der Künste Berlin ist, ab den 1920er Jahren zum Element der Männergarderobe. Und zwar in allen sozialen Schichten, etwa als Ersatz für die Weste.

Die Mode der 1970er Jahre sei selbst schon eine Retromode gewesen. Sie «griff den Pullunder der 20er und 30er auf: als sportliches “saloppes” Genre jenseits althergebrachter Dresscodes», sagt Burde. Kurze schnelle Modekonjunkturen haben nicht immer kulturtheoretisch interpretierbare Hintergründe, wie Burde betont. «Ich halte diesen und alle anderen “Trends” für eine Konstruktion aus Kommerzialität, medialer Kommunikation und Retro-Moden. Ich mag mich irren.»

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Umfrage: Nicht studierte Eltern sind Karrierenachteil

München (dpa) – Für Arbeiterkinder bedeutet das nichtakademische Elternhaus laut einer neuen Studie einen Karrierenachteil. Wer als erste(r) in der Familie eine Hochschule absolviert, habe trotz Studienabschlusses im Vergleich zu Akademikerkindern beruflich schlechtere Startchancen, argumentieren die Fachleute der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) in dem heute veröffentlichten Papier. Das gilt demnach sowohl für den Einstieg in den Beruf als auch für die weitere Karriere.

Studienautor Sebastian Ullrich und seine Kollegen befragten für ihre Untersuchung in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1125 Berufstätige im Alter von 21 bis über 60. Davon waren 58 Prozent Erstakademiker, deren Eltern nicht studiert hatten.

Der größte Nachteil ist demnach ein gesellschaftlicher: Nur ein Drittel der Arbeiterkinder gab an, dass sie beim Berufsstart Zugang zu wichtigen
Kontakten hatten. Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Akademikerhaushalten sagten das 61 Prozent, fast doppelt so viele. Weiterlesen

Faszination stilles Örtchen – Was Erfinder verbessern wollen

Von Christiane Oelrich, dpa

Genf (dpa) – Es war tatsächlich ein Geistesblitz «bei der täglichen Sitzung», wie Uwe Bezold sagt, also auf der Toilette. Dort sinniert der Ingenieur aus Bayreuth, der in Zürich in einem Bürohaus arbeitet – wo viele die gleichen Toiletten benutzen – über die Klobürste. «Fast alles geht inzwischen kontaktlos: das Abziehen, das Reinigen der Klobrille, der Wasserhahn, ein Spender für Desinfektionsmittel – aber die Klobürste muss jeder am Griff anfassen», sagt er der Deutschen Presse-Agentur beim Erfindersalon in Genf. «Das ist doch eine Lücke in der Hygienekette.»

Und so entwickelt Bezold mit einfachen Mitteln – «ein bisschen Blech und Plastik» – ein Klobürsten-Gestell. Bei «Cleanstem» gleiten auf Pedaltritt Greif-Arme mit Desinfektionsmittel an dem Griff hinunter. Krankenhäuser, Altenheime, Hotels, Restaurants – er sieht ein breites Feld für seine Erfindung, und sucht wie Hunderte Aussteller auf dem Erfindersalon Geschäftspartner, die seine Idee aufgreifen wollen.

Auf der Suche nach Investoren

Die Erfindermesse findet seit Mittwoch bis zum 30. April statt. Natürlich geht es dort um knallharte Geschäfte: Mehr als 800 Aussteller suchen finanzkräftige Investorinnen und Investoren. 80 Prozent der Aussteller sind Firmen und Institute, die Lösungen für knifflige Technologieprobleme oder Innovationen in Bereichen wie Umwelt und Mobilität vorstellen, und mehr als die Hälfte kommen aus China einschließlich Hongkong. Tüftler, die in der heimischen Garage an Erfindungen für Alltagsprobleme basteln, sind eher rar, aber es gibt sie.

Bei Lucyle Carrara aus Genf war es ihr Sohn Aaron, der sie beim leidigen Thema Töpfchen-Training auf eine «klo-reiche» Idee brachte. Sie hat den schwarzen Sticker «Crocodisk» entwickelt, der ins Töpfchen geklebt wird und beim Bepinkeln ein buntes Krokodil oder Einhorn zum Vorschein bringt. Damit sei es ein Kinderspiel gewesen, Aaron auf das Töpfchen zu bekommen. Der Sticker lasse sich auch in die Kloschüssel kleben, sagt Carrara. «Zielpinkeln, um ein buntes Krokodil zum Vorschein zu bringen, zieht übrigens auch Väter von Kleinkindern an», sagt sie lachend. Der Sticker ist beim Reinigen unverwüstlich, und ein Beitrag zum Umweltschutz, findet Carrara, denn je schneller die Kinder sauber seien, desto weniger Windeln würden gebraucht.

Toilettengeschäfte

Und dann gibt es noch die Klopapierrolle mit Beleuchtung. Das Gestell Toadylight lässt die Rolle wie einen Pilz aussehen, die bucklige Oberfläche leuchtet im Dunkeln durch Phosphoreszenz in gelb, grün oder orange. Der Genfer Eric Vassaux sagt, viele Leute wollten beim nächtlichen Toilettengang kein Licht einschalten. Sie fänden zwar dem Weg zum stillen Örtchen blind, oft aber nicht das Papier. «Nicht jeder hat eine Klopapierrollenhalterung. Oft steht die Rolle irgendwo auf einem Schränkchen oder dem Fußboden», sagt er. Deshalb das Licht. Das Gestell lässt sich auch mit Saugnapf an der Wand befestigen. Für rund 50 Euro, meint er, könne dies an Mann und Frau gebracht werden.

Mit dem Toilettengeschäft in weitestem Sinne befasst sich auch die Firma QRC aus Liechtenstein. Sie verspricht, die Beckenboden- und andere Rumpfmuskeln ganz ohne Anstrengung zu trainieren. Das könne Inkontinenz und Rückenschmerzen heilen, sagt Geschäftsführer Emiel Spiessens. «Im Alter lässt die Muskelkraft nach, und diese Muskeln gezielt zu trainieren, ist schwierig», sagt er. Wer auf seinem Sessel Platz nimmt, spürt die pulsierende Magnetstimulation in der Sitzfläche wie ein Kribbeln am Allerwertesten, das ist alles. Die Muskelarbeit werde aber getan, versichert er. Krankenhäuser und Altenheime hätten schon von anhaltenden Erfolgen berichtet.

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Saar-Landtag beschließt Beitragsfreiheit für Kitas

Saarbrücken (dpa/lrs) – Ab Anfang 2027 werden Eltern im Saarland keine Beiträge mehr für die Betreuung ihrer Kinder in Kindertagesstätten zahlen müssen. Der saarländische Landtag beschloss am Mittwoch die stufenweise Abschaffung der Elternbeiträge in vier Schritten. «Eine gute Betreuung hängt künftig nicht mehr von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern ab», sagte Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) am Mittwoch im Plenum des Landesparlaments. Damit werde ein zentrales Versprechen der SPD-Landesregierung eingelöst. Derzeit liegen die Eltern-Beiträge noch bei 12,5 Prozent der Personalkosten. Weiterlesen

Senioren am Steuer: Debatte über «Führerschein-TÜV»

Von Andreas Hoenig und Marek Majewsky, dpa

Berlin/Brüssel (dpa) – In Deutschland ist eine Debatte über ältere Menschen am Steuer entbrannt. Soll es neue Regeln geben für mehr Verkehrssicherheit? Auslöser sind Pläne der EU-Kommission.

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat lehnt eine mögliche verpflichtende Überprüfung der Fahrtauglichkeit von Senioren ab. Dies sei unverhältnismäßig, erklärte der Verkehrssicherheitsrat der Deutschen Presse-Agentur. «Selbst Auto zu fahren, bedeutet für die meisten Menschen Unabhängigkeit und Flexibilität. Denn gerade für viele Ältere ist der eigene Wagen ein wichtiger Bestandteil ihres Alltags.» Der Unfallforscher Siegfried Brockmann schlägt eine verpflichtende «Rückmeldefahrt» ab 75 Jahren vor.

Debatte auch auf EU-Ebene

Hintergrund ist eine laufende Debatte über Pläne der EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde hatte diese bereits Anfang März vorgestellt. Eines der Ziele ist es, die Straßen in der EU sicherer zu machen. Diesbezüglich sind auch neue Regeln für Senioren geplant.

Dabei geht es Angaben der Kommission zufolge darum, dass Menschen über 70 alle fünf Jahre entweder eine Selbsteinschätzung zur Fahrtauglichkeit ausfüllen sollen oder eine ärztliche Untersuchung durchgeführt werden soll. «Die Entscheidung, ob Selbsteinschätzung oder Check beim Arzt, liegt bei den Mitgliedstaaten», schreibt die Kommission.

Die Behörde betonte auch, dass dies für jede Erneuerung des Führerscheins gilt. Führerscheine, die ab dem 19. Januar 2013 ausgestellt wurden, sollen den Vorschlägen zufolge nicht mehr unbegrenzt, sondern nur noch 15 Jahre lang gültig sein, schreibt die EU-Kommission. Ab dem 70. Lebensjahr sollen Führerscheine den Plänen zufolge alle fünf Jahre erneuert werden müssen. Das Europaparlament und die EU-Staaten müssen nun Positionen zu dem Vorhaben finden und einen Kompromiss aushandeln, bevor neue Regeln in Kraft treten können. Änderungen sind also möglich.

Wissing hält von der Idee «gar nichts»

Dass es bald verpflichtende Tests für Senioren in Deutschland geben wird, ist unwahrscheinlich: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte sich bereits dagegen ausgesprochen. Er hatte der «Bild am Sonntag» gesagt: «Von der Idee, dass sich Senioren ab einem bestimmten Alter ohne weiteren Anlass regelmäßig einem Tauglichkeitstest unterziehen müssen, halte ich gar nichts.»

Eine Sprecherin des Ministeriums sagte, Deutschland sei der Ansicht, dass Gesundheitsuntersuchungen bei Pkw- und Motorradfahrern nur anlassbezogen, also bei Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für körperliche oder geistige Fahreignungsmängel, erfolgen sollten. Dies gelte auch für Senioren.

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat teilte mit, der Anteil von Menschen von 65 oder mehr Jahren an der Gesamtbevölkerung liege derzeit bei etwa 22 Prozent. Aber nur etwa 14,5 Prozent aller Unfallbeteiligten seien bei Unfällen mit Personenschaden dieser Altersgruppe zuzuordnen. «Ältere Menschen haben damit im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil eine unterproportionale Unfallbeteiligung. Generell kann man sogar feststellen, dass ältere Menschen im Straßenverkehr eher gefährdet sind, als dass sie eine Gefahr darstellen.»

Es gebe keinen optimalen Zeitpunkt für einen solchen Tauglichkeitstest, so der Verkehrssicherheitsrat. «Am besten wäre hingegen ein lebenslanges Lernen mit verschiedenen Schwerpunkten je nach Lebenslage und Mobilitätsbedürfnissen.» Maßnahmen zum Kompetenzerhalt oder zum Training sollten spätestens ab einem Alter von 75 Jahren ansetzen, da ab diesem Alter die Leistungsfähigkeit messbar sinke. «Dabei ist jedoch eine freiwillige Teilnahme an wirksamen Maßnahmen aus Akzeptanzgründen zu bevorzugen und intensiv zu bewerben.»

Unfallrisiko ähnlich hoch wie bei 18- bis 24-Jährigen

Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Pläne der EU-Kommission sähen keine Verpflichtung zu einem Fahrtauglichkeitstest vor. Zentral sei, dass ab dem 70. Lebensjahr Führerscheine alle fünf Jahre erneuert werden müssten, über eine Selbstauskunft. Das könnte aber letztlich nur ein neues Lichtbild und ein Gang zum Amt bedeuten.

Das aber gehe am Kern des Problems vorbei, so Brockmann. Zwar sage die Statistik in absoluten Zahlen, dass Senioren kein überhöhtes Unfallrisiko hätten. «Senioren fahren aber viel weniger mit dem Auto. Auf die Kilometerfahrleistung bezogen haben Senioren ein höheres Unfallrisiko – ähnlich hoch wie 18- bis 24-Jährige.»

Es bestehe Handlungsbedarf. Brockmann schlägt eine verpflichtende «Rückmeldefahrt» ab 75 Jahren vor. Dies sei eine Fahrstunde zum Beispiel bei einem Fahrlehrer. Die Senioren bekämen eine Rückmeldung über die Fahrt und eine Empfehlung, welche Strecken sie besser nicht mehr fahren sollten. Die Fahrerlaubnis bleibe aber in jedem Fall bestehen.

Auch die Deutsche Verkehrswacht ist für obligatorische Rückmeldefahrten ab einem Alter von 75 Jahren, wie ein Sprecher sagte. Wenn Ältere in einen Unfall verwickelt seien, so hätten sie diesen in den meisten Fällen auch verursacht. Fahrleistungsbezogen sei das Unfallrisiko darum sogar höher als bei den Jungen. Außerdem seien die Unfallfolgen schlimmer, da die körperliche Widerstandskraft nachlasse.

Der ADAC warnte bereits vor einem «Fahrtauglichkeits-TÜV» für Rentner. Der Autofahrerclub lehnte geplante Maßnahmen, die sich auf ein bestimmtes Alter beziehen, ab.

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