Therapie zum Selbermachen

Psychologin und Bestsellerautorin Stefanie Stahl zeigt Lösungsansätze für (fast) alle Probleme auf

Bitburg. Es ist alles andere als eine klassische Lesung, die Stefanie Stahl ihren rund 300 Zuhörerinnen und Zuhörern beim Eifel-Literatur-Festival im ausverkauften Saal des Hauses Beda in Bitburg bietet. Eher ähnelt ihr freier, mit Powerpoint-Präsentation unterstützter Vortrag einem Seminar. Die 55jährige Psychologin, die in Trier studiert und der Stadt trotz weit streuender Aktivitäten als Lebens- und Arbeitsmittelpunkt treu geblieben ist, vermittelt ihren Gästen klare, gut umsetzbare und alltagstaugliche Ansätze zur Lösung persönlicher (Beziehungs-)Probleme. Ihr Thema lautet: „Das Kind in dir muss Heimat finden“. Das ist auch der Titel ihres bislang erfolgreichsten, allein in 2017 rund 400.000 mal verkauften Psycho-Ratgebers, mit dem sie nun schon in der 141. Woche die Spiegel-Bestsellerliste im Bereich Sachbuch/Paperback anführt. Was dieses Buch zur derart gefragten Lektüre macht, erklärt die gebürtige Hamburgerin mit trockenem hanseatischen Humor: „Es bietet Therapie zum Selbermachen und taugt für alle Normalgestörten“. Frech ergänzt sie noch: „ Schwer Gestörte lesen solche Bücher nicht, sie gehen eher in die Politik“.

Als Frau, die ihren Beruf als Berufung begreift, will Stefanie Stahl Ratsuchenden etwas an die Hand geben, von dem sie wirklich Nutzen haben. Das gelingt ihr, bei aller Empathie für die Menschen, mit ausgeprägtem analytischem Verstand und pragmatischer Nüchternheit. Sie sagt: „Alle Probleme, die uns an der Oberfläche so kompliziert erscheinen, lassen sich auf Wesentliches reduzieren“. Der wesentliche Ausgangspunkt für fast alle Schwierigkeiten, vor allem in und mit Beziehungen, sei mangelndes Selbstwertgefühl. Und das wiederum resultiere aus der frühkindlichen Prägung: Ein Kleinkind beziehe alle Verhaltensweisen seiner Bezugspersonen auf sich. Zurückweisung beispielsweise gebe ihm das Gefühl, schlecht zu sein. Auf diese Weise entstehe eine Art Glaubenssatz: „Ich bin nichts wert“, der als unbewusste Grundprogrammierung bis ins Erwachsenenalter Verhaltensweisen, besonders in Konfliktsituationen, bestimme. Diesen negativen Anteil frühkindlicher Prägung kleidet Stefanie Stahl ins psychologisch gebräuchliche Bild des „Schattenkindes“. Und bei ihm setzt ihre Lösungsstrategie an, die sie an einem lebensnahen Beispiel anschaulich darstellt: Sabine, hat beim Einkauf vergessen, die Lieblingswurst ihres Partners Michael mitzubringen.

Weil Michael das Ereignis verzerrt durch die Brille eines frühkindlichen Glaubenssatzes: „Ich bin nicht wichtig“ wahrnimmt, reagiert er gekränkt und macht Sabine Vorwürfe, die wiederum ihren Schattenkind-Glaubenssatz: „Ich bin nicht gut genug“ berühren. Der Weg aus diesen Verstrickungen könne nur über Reflektion und Bewusstmachung des jeweiligen Schattenkindes führen, sagt Stahl. Dafür hat sie eine Übung parat: Das Schattenkind wird aufgezeichnet und mit Erinnerungen an das Verhalten der Eltern und die eigenen Gefühle aus der frühen Kindheit beschriftet. Sinn dieser ins Sichtbare übertragenen Reflektion ist, auch zum Bewusstsein der Selbstschutzstrategien zu gelangen, die den frühkindlichen Verletzungen folgten und in Verhaltensmuster wie die von Michael und Sabine münden: Verdrängung, Harmoniesucht, Überanpassung, Perfektions- oder Macht und Kontrollstreben, Flucht, Vermeidung und Angriff. Sie werden ebenfalls ins Bild eingefügt. Nach solcher gründlichen Selbstanalyse geht es im nächsten Schritt nun ums Ertappen und Umschreiben. Sobald eine Verhaltensweise auftaucht, die sich auf das Schattenkind zurückführen lässt, wird ein Wechsel der Perspektive geprobt, weg von der des Gefangenen hin zu der des Beobachters, dann mit Empathie auch in die des Gegenübers, das vom eigenen Verhalten betroffen ist.

Wenn beide Partner schließlich so weit sind, dass sie ihr eigenes Schattenkind identifiziert und daraus ihren Teil der Verantwortung abgeleitet haben, kommt die Umschreibung zum Zielbild des positiv besetzten „Sonnenkindes“. Auch hier wird wieder eine Figur aufgemalt, bunt und schön. Beschriftet wird sie mit umgedrehten Glaubenssätzen wie: „Für mich wird gesorgt“, „ich bin wertvoll“. Dazu werden positive Erfahrungen mit den Eltern wie auch eigene Stärken eingetragen und schließlich die Schutzstrategien zu „Schatzstrategien“ umgewandelt. Statt Perfektion nun „Gut ist gut genug“ oder statt Flucht: „Ich stelle mich meinen Problemen und rede darüber“. Bei Michael und Sabine ist schließlich wieder alles in Butter, und auch Stahls Zuhörer sind um wertvollen Rat reicher.

Sie haben einen fesselnden, durch Klarheit und Systematik überzeugenden Vortrag gehört und werden mit einem ehrlichen und offenen Statement am Schluss verabschiedet, das die Psychologin wohltuend von Glücksgurus und Heilsbringern abhebt: „Erlösung von draußen gibt es nicht, jeder muss selbst Verantwortung übernehmen und sich am Schopf aus dem Sumpf ziehen“.

(v. Anke Emmerling)

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