Podiumsdiskussion: „Die Schulstrukturreform auf dem Prüfstand“

Wittlich. Unter dem Titel „Die Schulstrukturreform auf dem Prüfstand“ lud die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am Donnerstag den 26. August nach Wittlich zur Podiumsdiskussion. Den mehr als 60 Bürgerinnen und Bürgern die der Einladung ins Hotel Lindenhof gefolgt waren bot die Veranstaltung eine kontroverse und überaus lebhafte Diskussion. Unter der Moderation von Dr. Dirk Hannowsky (Geschäftsführer des Bildungswerkes der rheinland-pfälzischen Wirtschaft) erörterten dabei ein hochkarätiges Podium Probleme und Perspektiven des rheinland-pfälzischen Bildungssystems.

Nicole Morsblech (stellv. Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion und fachpolitische Sprecherin für Bildung und Jugend) verwies bereits zu Beginn der Diskussion darauf, dass die Schulstrukturreform im Rahmen der Zwangsfusionen von Schulen nicht die inhaltlichen Probleme löse. Anstatt „in die Schulen zu schauen“ wechsle man lediglich die Türschilder aus und erneuere mit Abermillionen die Fassaden. Dadurch werde kein Schüler besser gefördert. Stattdessen werden die Probleme einfach anders verwaltet. Frau Morsblech forderte darum die Diskussion vom äußeren Schein auf die inneren Probleme des Bildungssystems zu lenken.

Ein Schritt dorthin könne es sein, so Morsblech, mehr Ehrlichkeit in die Diskussion zu bringen und sich offen mit der Realität und den Problemen in den Schulen auseinanderzusetzen. Hierzu gehöre ein offener Umgang mit Qualität und Lernergebnissen – z.B. im Rahmen zentraler Abschlussprüfungen – sowie Ehrlichkeit im Umgang mit Unterrichtsausfall und Lehrermangel. Nur wer Mängel benenne, könne diese auch beheben. So müsse auch im Hinblick auf die PISA-Ergebnisse klar gemacht werden, dass die Integrierten Gesamtschulen (IGS) – deren Zahl in Rheinland-Pfalz von 12 auf 52 erhöht wird – im PISA-Vergleich nur unwesentlich besser abgeschnitten haben als die Hauptschulen – und deutlich schlechter als die Realschulen. Die von der SPD vorangetriebene Einheitsschule sei folglich kein besserer Weg. Alternativen bestünden stattdessen im freiwilligen Zusammenschluss von Schulen, der Schaffung vergleichbarer zentraler Abschlüsse sowie der Etablierung einer echten Förder- und vor allem Forderkultur.

Bernd Karst (Landesvorsitzender des Verbandes Deutscher Realschullehrer) verwies ebenfalls auf die fehlende Wahlfreiheit der Schulen und bemängelte die unabgestimmte Reform von Oben welche die „Realschulen 2007 überrollt habe“. Angesichts von neun Arten der Realschule Plus und bundesweit insgesamt 26 Schulformen müsse sich jeder im Klaren sein, dass die nächste Reform nur eine Frage der Zeit sei.

Zentrale Probleme würden durch die Schulstrukturreform schließlich nicht gelöst. So sei eine Binnendifferenzierung angesichts großer Klassen kaum möglich, so Karst. Denn auch wenn die Sollzahl von 25 Schülern in den 5. und 6. Klassen der Realschulen Plus als Erfolg verkauft werde, sei diese Zahl gemessen an vorherigen Hauptschulklassen hoch. Ferner sei, so Karst, „die Lehrerversorgung so schlecht wie nie“. 10-20% des Unterrichts würden von nicht voll ausgebildeten Hilfskräften mit Zeitverträgen abgedeckt. Karst forderte darum sich auf solides Arbeiten zu besinnen. Unterricht dürfe nicht zu einer „Betreuung von Kindern durch Erwachsene“ werden.

Malte Blümke (Vorsitzender des Philologenverbandes Rheinland-Pfalz e.V.) griff diesen Aspekt auf und erklärte, dass die aktuelle Reform gegen alle Widerstände durchgedrückt worden sei und auch die Gymnasien massiv betreffe. Diese müssten nun mit einem hohen Ansturm rechnen. Die Folge seien noch größere Klassen die eine Binnendifferenzierung unmöglich machten.

Von rund 40.000 Lehrkräften in Rheinland-Pfalz seien mindestens 10 Prozent nicht voll ausgebildet, so Blümke. Trotzdem seien von 800 Bewerberinnen und Bewerbern für das Referendariat nur 200 eingestellt worden. Unter den Abgelehnten hätten sich alleine 44 Lehrer für Mangelfächer befunden die nun in benachbarte Bundesländer ausweichen würden. 

Blümke erklärte in diesem Zusammenhang wie unterfinanziert die Bildung in Rheinland-Pfalz sei. Im Bundesdurchschnitt würden 5400 Euro pro Schüler investiert. Das hiesige Bildungsministerium gebe aber nur 5100 Euro pro Schüler aus. Doch selbst diese geringen Mittel, so Blümke, kämen nicht da an wo sie gebraucht würden. Durch immer mehr Schulbürokratie von Oben nach Unten würden enorme Ressourcen verschlungen. Ein Beispiel seien Einrichtungen wie die Agentur für Qualitätssicherung (AQS). Diese erhielte 20-30 Millionen Euro pro Jahr um damit „dilettantisch“ auf Basis 20-minütiger Unterrichtsbesuche Schulen zu bewerten.

Als Vertreter eben dieser Eltern betonte Rudolf Merod (Vertreter des Landeselternbeirats) wie sehr es ihn freue, dass der PISA-Schock den „Dornröschenschlaf“ im Bildungssystem beendet haben. Das Problem sei jedoch, dass die öffentliche und politische Debatte noch immer nicht die Probleme Löse. Kinder seien in den Schulen vielfach unterfordert und würden nicht zum Nachdenken angeregt. Wenn 54% der Schülerinnen und Schüler sich im Unterricht langweilten, müsse sich etwas ändern. Denn auch wenn, seiner Ansicht nach, Rheinland-Pfalz im bundesweiten Vergleich immer noch eine „Insel der Glückseeligen“ sei müssten die Probleme behoben werden.

Außerdem sei es an der Zeit den Schulleitern mehr Freiheiten zuzugestehen und die Eigenverantwortung Schulen zu stärken. In der Folge müssten dann die Schulen gemeinsam mit den Eltern vor Ort an besseren Bedingungen arbeiten. Dazu zählte die Chance zu längerem gemeinsamen Lernen, Binnendifferenzierung und anspruchsvoller Unterricht. Ähnliche Forderungen wurden auch aus dem Publikum erhoben das sich rege an der offenen Diskussion im zweiten Teil der Veranstaltung beteiligte.

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