CDU-Spitze aus Managementperspektive

Gastkommentar von Hermann Simon

Dramatische Marktanteilsverluste, wie sie die Union in den letzten Wahlen erlebt hat, führen in der Wirtschaft nahezu zwangsläufig zum Rücktritt des letztendlich Verantwortlichen. In einer solchen Situation muss der Aufsichtsrat aktiv werden.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon ist Honorary Chairman der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners

Einen solchen gibt es in der Partei allerdings nicht. Angela Merkel hat selbst die Reißleine gezogen und eröffnet damit die Chance eines Neubeginns. Dafür gebührt ihr hohe Anerkennung.

Wie ist die Führungsnachfolge der CDU aus Managementperspektive zu beurteilen? Wie würde ein Unternehmen mit ähnlicher Ausgangslage vorgehen? Die Stimmenverluste in Bayern und Hessen sind vergleichbar einem massiven Einbruch des Marktanteils. Man stelle sich nur einmal vor, der Marktanteil oder der Umsatz von Volkswagen würden um ein Viertel einbrechen. Genau das ist bei den Volksparteien geschehen.

Angesichts eines derart dramatischen Einbruchs käme wohl nur eine Besetzung der Spitzenposition von außen in Frage. Denn alle, die zum bisherigen engeren Führungskreis gehören, würden eher als Teil des Problems denn als dessen Lösung angesehen. Insbesondere würde kein Aufsichtsratsvorsitzender auf die Idee kommen, jemanden an die Spitze zu berufen, der vor allem für „ein weiter wie bisher“ steht. Es gibt zwar ganz von außen kommende Kandidaten wie den Bonner Professor Herdegen, aber die Chance eines Sieges ist für solche Kandidaten minimal. Friedrich Merz ist hingegen ein Bewerber, der zumindest halb von außen kommt und – anders als Berufspolitiker – dort erfolgreich war. Das ist eine interessante Ausgangsposition.

Die CDU erhebt den Anspruch, eine Volkspartei zu sein, also die breite Mitte abzudecken. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied zu Randparteien wie Die Linke oder AfD. Im übrigen unterscheidet das Deutschland von vielen anderen Ländern, deren Gesellschaften gespalten sind und in denen polarisierende Politiker an die Macht gekommen sind (USA, Brasilien, Polen, Ungarn). In Deutschland sehe ich keine derartige, ideologisch verhärtete Trennlinie in der Mitte der Gesellschaft. Daraus folgt, dass die Person an der Spitze der CDU keinesfalls ein „Polarisierer“ sein sollte. Angela Merkel war genau das bis zu der Flüchtlingswelle vom September 2015 nicht. Sie einte die Gesellschaft eher als dass sie spaltete.

Das hat sich seit ihrem Umgang mit der Massenmigration total geändert. Ihre bisherigen Wähler spalteten sich zunehmend in dezidierte Befürworter und nicht weniger dezidierte „Merkel muss weg“-Protagonisten. Seehofer trug massiv zur Verschärfung dieses Schismas bei. Unter den derzeit gehandelten Kandidaten dürfte Jens Spahn der am stärksten polarisiende sein. Das könnte zu einem Problem für die CDU werden. Randparteien wie Die Linke oder die AfD sollten im übrigen auf polarisierende Persönlichkeiten setzen. Die Grünen sind allerdings keine Randpartei mehr. Mit dem neuen, nicht polarisierenden Führungsteam Habeck und Baerbock fahren sie gut.

Hier drängt sich eine Analogie aus dem Automarkt auf. Ein herausragendes Merkmal des VW-Käfer war, dass er nicht polarisierte. Sowohl der Generaldirektor als auch der Arbeiter konnten in diesem Auto vorfahren. Der VW-Golf hat diese Wahrnehmung geerbt. Der/die neue CDU-Vorsitzende muss eher einem VW-Golf als einem Opel oder einem Porsche ähneln, die beide polarisieren.

Ein weiteres Kriterium ist Erfahrung, sowohl in der politischen Führung nach innen und nicht zuletzt im internationalen Bereich. Die CDU-Generalsekretärin hat ein Bundesland mit 994.187 Einwohnern (Stand 31.12.2017) geführt. Das hat sie gut gemacht. Aber diese Aufgabe ist nicht mit dem extrem herausfordernden Job des Bundeskanzlers zu vergleichen. Ich unterstelle hierbei, dass im Dezember nicht nur der/die Vorsitzende der CDU, sondern faktisch auch der/die Kanzlerkandidat/in der CDU bestimmt wird. Jens Spahn hat Erfahrung als Bundesminister und jahrelanger Frontspieler in der Bundespolitik. Friedrich Merz war CDU-Fraktionsvorsitzender und dürfte international die meiste Erfahrung sowie die besten Kontakte besitzen (Blackrock, Atlantikbrücke). Angesichts der geänderten Rolle der Bundesrepublik in der globalen Arena hat die internationale Kompetenz eines zukünftigen CDU-Chefs und möglichen Bundeskanzlers herausragende Bedeutung.

Wie es nach innen in der Partei aussieht, ist schwer zu beurteilen. Es scheint eine gewisse Lagerbildung zu geben. Einerseits ist das bei einer Volkspartei unvermeidlich, andererseits wäre eine Verschärfung gefährlich. Und Friedrich Merz gehört seit vielen Jahren nicht mehr zum inneren Zirkel, das könnte sich für ihn als Nachteil erweisen. Denn der/die CDU-Vorsitzende wird genau von diesem Zirkel, nämlich den Delegierten gewählt. Wie diese Delegierten innerparteiliche Aspekte gegenüber den Chancen, welcher Kandidat am ehestens zukünftige Wahlen gewinnt, gewichten, lässt sich in der momentanen Gemengelage kaum abschätzen. Letztlich kommt es aber wie bei den Unternehmen auf den Marktanteil an, den die CDU unter dem neuen Vorsitz erringt. Und wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, dürfte Friedrich Merz hier vorne liegen. Das bestätigen auch erste Umfragen.

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