Josef Schuster im Interview

Zentralrat-Präsident über Juden in Deutschland

„Es werden zunehmend rote Linien verschoben“ – Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, spricht im Interview über das Wirken der AfD, den NSU-Prozess und Angriffe auf Kippa-Träger. Josef Schuster ist seit November 2014 Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland.

Praesident Dr. Josef Schuster, Praesidium Zentralrat der Juden in Deutschland , Frankfurt am Main, am 23.11.17. Foto: Thomas Lohnes fuer Zentralrat der Juden

Herr Schuster, können sich Juden 70 Jahre nach dem Holocaust in Deutschland sicher fühlen?
Schuster: Ja. In den letzten Wochen und Monaten ist es zwar in einigen Städten leider dazu gekommen, dass Menschen, die durch das Tragen einer Kippa offen als Juden zu erkennen waren, tätlichen Angriffen ausgesetzt waren. Aber es wäre der falsche Rückschluss zu sagen, Juden seien in Deutschland nicht mehr sicher.

Nachdem im Frühjahr dieses Jahres im Prenzlauer Berg ein junger Mann aus Israel angegriffen wurde, haben Sie davor gewarnt, sich in der Öffentlich-
keit mit einer Kippa zu zeigen. Halten Sie an dieser Warnung fest?
Schuster: Ja. Ich will niemanden daran hindern, der bewusst seine Kippa offen tragen möchte. Aber ich möchte vor allem verhindern, dass Kinder und Jugendliche durch das Tragen einer Kippa zu Schaden kommen. Ich empfehle, über der Kippa ein Basecap zu tragen. Insbesondere wenn man allein auf der Straße unterwegs ist.

Sind das Zustände, die man in Deutschland akzeptieren muss?
Schuster: Natürlich ist das alles andere als wünschenswert. Es ist aber seit Langem für Juden in Deutschland der Normalfall. Derzeit steigt in der Mehrheitsgesellschaft dafür die Sensibilität. Das könnte zu einer Verbesserung der Situation beitragen.

Erleben Sie in Ihrem Alltag Judenfeindlichkeit?
Schuster: Eines hat sich spürbar verändert: Im Internet und den sozialen Medien gibt es zunehmend judenfeindliche Äußerungen. Da äußern Menschen inzwischen sogar unter ihrem Klarnamen antisemitische und israelfeindliche Thesen.

In Berlin wurde ein jüdischer Junge monatelang von seinen Mitschülern gemobbt, bevor die Schule etwas dagegen unternommen hat. Warum werden solche Vorfälle unter den Teppich gekehrt?
Schuster: Ich habe das Gefühl, dass viele Lehrer nicht genügend dafür sensibilisiert sind. Und in den Schulleitungen besteht leider zu oft die Sorge, dass es für das Image der Schule schlecht ist, wenn antisemitische Vorfälle ans Tageslicht kommen. Dabei ist der Schaden viel größer, wenn so etwas nicht offen angegangen wird.

Wie kann man verhindern, dass es so weit kommt?
Schuster: Ich halte es für notwendig, dass Lehrkräfte im Umgang mit Antisemitismus geschult werden. Für die Arbeit mit den Schülern haben wir entsprechende Lehrmaterialien zusammengestellt, gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz, die auf einer Webseite abgerufen werden können. Auch eine Meldepflicht für antisemitische Vorfälle wäre ausgesprochen sinnvoll. Nicht nur in Schulen.

Was könnte die bringen?
Schuster: Bei einer Meldepflicht geht es nicht darum, nur strafrechtlich relevante Vorfälle rauszufischen, sondern ein besseres Gesamtbild zu bekommen. Es gibt eine hohe Dunkelziffer von Vorfällen, die nie zur Anzeige kommen. Dafür braucht es niedrigschwellige Angebote. In Bayern installieren wir in Zusammenarbeit mit dem Antisemitismusbeauftragten des Landes gerade in den jüdischen Gemeinden ein besseres Meldesystem. Die nehmen künftig jeden Vorfall auf und leiten ihn weiter. Für viele Menschen ist es einfacher, wenn sie sich nicht an eine Behörde wenden müssen.

Der Berliner Gastronom Yorai Feinberg bekommt unzählige Hassmails, doch seine Anzeigen liefen bisher meistens ins Leere. Gehen die Strafverfolgungsbehörden nicht konsequent genug vor?
Schuster: Das gilt generell für Straftaten gegenüber Minderheiten. Der NSU-Prozess hat gezeigt, dass hier noch Handlungsbedarf besteht. Ich glaube, dass die Strafverfolgungsbehörden eine stärkere Sensibilität für solche Übergriffe entwickeln müssen. Ich habe aber den Eindruck, dass sich inzwischen gedanklich etwas ändert. Das Verhalten von Facebook angesichts von Hasskommentaren wirft für mich allerdings immer noch Fragen auf.

Mitte der Woche ging der NSU-Prozess mit einem Urteil gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe zu Ende. Was bleibt?
Schuster: Viele Fragen bleiben offen, auch weil es in dem Verfahren nur um die individuelle Schuld der Angeklagten ging. Für mich bleibt ein bitterer Beigeschmack, wegen der zweifelhaften Rolle des Verfassungsschutzes. Für mich war der Verfassungsschutz immer eine ehrenwerte, wirksame Institution zum Schutz des Staates und der Demokratie. Doch seit dem Prozess habe ich ernsthafte Zweifel. Allein die Tatsache, dass Akten in solchem Umfang vernichtet wurden. Oder dass ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes an einem der Tatorte saß und nichts gehört und gesehen haben will. Vieles bleibt im Dunkeln, zum Beispiel, welche Hintermänner der NSU hatte. Diese Fragen sind durch den Prozess nicht geklärt worden.

Die Bundesregierung hat einen Antisemitismus-Beauftragten eingesetzt. Was versprechen Sie sich davon?
Schuster: Das ist ein sehr wichtiger Schritt. Natürlich wäre es Träumerei zu glauben, dass mit der Schaffung eines Beauftragten Antisemitismus in Deutschland verschwindet. Aber es kann gelingen, gemeinsam bessere Strategien im Kampf gegen den Antisemitismus zu entwickeln. Der Beauftragte kann aufzeigen, was es an praktischem Antisemitismus gibt – von rechter Seite, von links, aber auch von Migranten.
Ein Teil der Flüchtlinge kommt aus Ländern, in deren Gesellschaften die Feindschaft zu Israel tief verwurzelt ist. Wie sollten wir damit umgehen?
Schuster: Wir müssen klarmachen, dass Antisemitismus in Deutschland keinen Platz hat und dass das Existenzrecht des Staates Israels nicht verhandelbar ist. Das gilt genauso für andere grundlegende Werte, etwa die Gleichberechtigung oder die Akzeptanz verschiedener sexueller Orientierungen. Das muss in den Integrationskursen viel intensiver vermittelt werden als bisher.

Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli schlägt vor, Asylbewerber zum Besuch eine KZ-Gedenkstätte zu verpflichten. Halten Sie das für sinnvoll?
Schuster: Ein solcher Besuch muss natürlich gut vor- und nachbereitet werden. Ich glaube, dann kann er Empathie erzeugen.

Vor dem Brandenburger Tor wurde der Davidstern verbrannt, in Berlin demonstrieren schiitische Geistliche gegen die Existenz Israels. Was ist zu tun?
Schuster: Wenn in einigen Moscheegemeinden Antisemitismus und Israelfeindlichkeit gepredigt werden, muss der Staat konsequent dagegen vorgehen und das untersagen. In solchen Fällen sollte man das Aufenthaltsrecht der Prediger überprüfen.

Das Interview führten
Cordula Eubel und
Alexander Fröhlich.
Veröffentlichung mit freundlicher Unterstützung des Tagesspiegel

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